Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 44. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 23. Juni 2022
ZP 4: Aktuelle Stunde auf Verlangen der Fraktion der CDU/CSU: Kältewinter verhindern – Jetzt entschlossen und pragmatisch vorsorgen
Dr. Nina Scheer (SPD):
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Ja, es ist eine besorgniserregende Situation, in der wir stecken. Mit der Ausrufung der Alarmstufe des Notfallplans Gas – das ist ja die zweite Stufe von dreien – ist in der Tat, wie es der Notfallplan auch besagt, eine Situation gegeben, in der Maßnahmen ergriffen werden müssen, um einer Versorgungsnotlage zu entgehen, um einem Versorgungsengpass zu entgehen.
Es sind auch schon vorher Vorkehrungen getroffen worden, und es ist klar, dass mit diesen bereits beschlossenen Maßnahmen alles darangesetzt wird, eine Mangellage auszuschließen. An dieser Stelle möchte ich kurz erwähnen, was wir schon in den letzten Monaten alles auf den Weg gebracht haben, um zu ermöglichen, dass eben keine Versorgungsmangellage eintritt. Wir haben ein Gasspeichergesetz verabschiedet, das dafür sorgt, dass die Füllstände rechtzeitig zum Winter wirklich so hoch sind, dass später nicht wieder eine Situation eintritt, in der Gasspeicher nicht gefüllt sind, wie es zum Jahresanfang war. Wir haben gesetzlich geregelt, dass das nicht wieder passiert.
Wir sind bisher auch auf einem guten Weg. Innerhalb von 30 Tagen, von heute aus zurückgerechnet, hätte man die Speicher vollständig befüllen können; denn an einem Tag wurde zuletzt so viel eingefüllt, dass man das hätte erreichen können. Aber offenbar war auch genau das ein Element, das von russischer Seite sehr genau beobachtet wurde. Man kann, wenn man die Gesamtlage beobachtet, schon erkennen, dass auch die Vorsorgemaßnahmen, die wir zur Gewährleistung der Verfügbarkeit von Energie, von Gas in Deutschland getroffen haben, von Russland jetzt konterkariert werden. Die Gaslieferungen werden tatsächlich als strategisches, politisches Erpressungsinstrument eingesetzt, um uns auch politisch in die Knie zu zwingen. Das ist das Ansinnen, das man hinter der Drosselung von Gasflüssen entdecken kann; denn sie korrespondiert in der Tat mit den Ermöglichungen von mehr Gaseinspeicherung, wie wir sie in den letzten Wochen verstärkt angeschoben haben. Aber darauf gilt es geschickt und auch besonnen zu reagieren, weil wir alle wissen, dass noch eine hohe Abhängigkeit besteht und dass wir auch versuchen müssen, uns in dieser Situation nicht zu gefährden. Die Gasflüsse haben es nun einmal an sich, dass man nicht einfach nur in Mengen kalkulieren darf, sondern auch in Durchflüssen kalkulieren muss und die Versorgung eben nur dann überall in Deutschland gewährleistet ist, wenn die Durchflüsse stimmen. Das ist nicht nur ein Mengenproblem. – Das war der eine Bereich.
Wir haben zum Zweiten auch ein LNG-Gesetz verabschiedet, womit wir ermöglichen, dass diversifiziert wird, dass wir wegkommen von den Importabhängigkeiten von russischem Erdgas und mit Anlandungen an den deutschen Küstenhäfen verstärkt andere Bezugsquellen nutzen. Auch das ist geschehen.
Wir haben zum Dritten ein Energiesicherungsgesetz verabschiedet, das auch Regelungen vorsieht, wie man damit umgeht, wenn auf einmal eine Mangellage eintritt: Wie kann man Versorger in die Lage versetzen, dass sie weiterhin Versorger sind? Wie kann der Staat eingreifen, wenn die Versorger eben nicht mehr in der Lage sind, ihre Versorgungsaufgaben zu erfüllen?
Zu guter Letzt sind wir jetzt – das ist ein weiteres Kapitel – gerade im parlamentarischen Verfahren, ein Ersatzkraftwerkebereithaltungsgesetz auf den Weg zu bringen, das regeln soll, dass wir im Ernstfall den Versorgungsprioritäten, zu denen wir auch europäisch verpflichtet sind, nämlich dass die Endkunden immer versorgt sind, auch gerecht werden können, dass wir also den Daseinsvorsorgeauftrag in Richtung der Endkunden erfüllen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Insofern: Das ist schon ein ganzer Strauß von Maßnahmen. Er steht in Verbindung mit dem Riesenpaket, das noch deutlich größer ist als das gerade geschilderte und das in der Perspektive das deutlich wichtigere ist, weil es nämlich Maßnahmen umfasst, um beschleunigt auf erneuerbare Energien umsteigen zu können. Das wirkt heute in der Aktuellen Stunde wie Begleitmusik, aber es enthält eigentlich den Großteil der politischen Aufgaben, die wir gerade verfolgen. Es muss uns so schnell wie möglich in die Lage versetzen, dass wir gar nicht mehr von fossilen Energien abhängig sind und dass wir diese Situation überwinden. Das wird mit dem Osterpaket und dem Sommerpaket verfolgt.
(Beifall bei der SPD, dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Insofern ist der Weg, der hier gegangen wird, ein sehr herausfordernder, aber er ist der richtige. Der falsche wäre, jetzt wieder in diese Abhängigkeiten zurückzufallen. Wenn wir Ihrer Forderung nach Laufzeitverlängerungen folgen würden, dann würden wir weiter bei den teuersten Energieformen verharren, dann wären wir weiter in den Abhängigkeiten und würden uns weiter dabei behindern, die Energiewende schnell voranzubringen.
(Jens Spahn (CDU/CSU): Aber dann hätten wir Strom!)
Das wäre der falsche Weg.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)