Deutscher Bundestag – 20. Wahlperiode – 34. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 12. Mai 2022
Tagesordnungspunkt 7, Zusatzpunkt 2: Ausbau Erneuerbare Energien. Energiewirtschaft – Erste Beratung des von den Fraktionen SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP eingebrachten Entwurfs eines Gesetzes zur Beschleunigung des Einsatzes verflüssigten Erdgases (LNG-Beschleunigungsgesetz – LNGG), Drucksache 20/1742
Dr. Nina Scheer:
Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Bereits vor dem russischen Angriffskrieg und den sich angeschlossenen Maßnahmen zur Beendigung der Importabhängigkeiten von Energie aus Russland war der schnellstmögliche Umstieg auf erneuerbare Energien die zwingende und schlüssige Konsequenz zur Begrenzung des menschengemachten Klimawandels. Nun muss aber vor dem Hintergrund des Angriffskrieges jetzt erst recht gelten, diese Politik beschleunigt zu verfolgen, auch um nicht erpressbar zu werden.
Wie Bundesminister Robert Habeck gerade erläuterte, kündigte Russland gestern nun Sanktionen gegen Teile des Gaskonzerns Gazprom Germania an, der seit Anfang April unter der Treuhandverwaltung der Bundesnetzagentur steht. Es ist noch offen, welchen Einfluss dies auf die weiteren Importe haben wird, auch wenn aktuell die Gasversorgung gesichert ist. Genau zu beobachten ist aber an dieser Stelle auch, dass vonseiten der Ukraine zurzeit ein Durchleitungsstopp von Gas aus Russland verfolgt wird. Es muss auch hier ausgeschlossen werden können, dass diese Maßnahmen ein gegen Deutschland gerichtetes Druckmittel sind; auch dies wäre inakzeptabel.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und der FDP)
Wirtschaft und Gesellschaft sind auf eine verlässliche Energieversorgung angewiesen, und zwar weltweit. Bereits die Endlichkeit fossiler Ressourcen bei gleichzeitig steigender Weltbevölkerung und noch dringlicher die Klimafolgenwirkungen aus Verbrennung fossiler Energieressourcen erfordern verstärktes Handeln. Wir brauchen den schnellstmöglichen Umstieg auf erneuerbare Energien. Wir brauchen die Beseitigung von Mengenbegrenzungen, die sich über die letzten Jahre angehäuft haben. Und wir brauchen die Beseitigung vieler versteckter Planungshemmnisse.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
In diesem Handeln steckt die Chance auf Energiesicherheit, auf Überwindung von Konflikten und Kriegen um fossile Ressourcen – die wir etwa in den Irakkriegen schon hatten -, und auch auf Vermeidung von massiven Gesundheitsschäden, die durch die Verbrennung fossiler Ressourcen sowie weiterer Klima- und Umweltfolgewirkungen entstehen. In diesem Handeln steckt außerdem die Chance, Biodiversitätsverluste durch Klimawandel zu vermeiden. Der beste Garant, Arten zu erhalten, ist, den Klimawandel zu stoppen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Wenn wir nun mit dem Osterpaket,
(Stephan Brandner (AfD): Es ist fast Pfingsten!)
das wir jetzt parlamentarisch verhandeln, für 2030 von 750 Terrawattstunden Bedarf an Strom ausgehen, ist das deutlich mehr als die heute benötigten rund 560 Terrawattstunden. Und wenn wir dann von diesen 750 Terrawattstunden 80 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien haben wollen – so steht es in unserem Koalitionsvertrag -,
(Stephan Brandner (AfD): Sie erzählen Märchen!)
dann ist das so viel, wie wir heute an Energie 100 Prozent dann hätten.
(Stephan Brandner (AfD): Können Sie das noch mal vorrechnen? Ich habe es nicht verstanden!)
Das haben wir vor. In acht Jahren wollen wir 80 Prozent erreichen. Das ist die Menge, die auf heute bezogen eine 100-prozentige Versorgung durch erneuerbare Energien bedeutet. Das ist ein großer Kraftakt, das ist aber auch notwendig, um genau diese Schwierigkeiten, die ich gerade erläutert habe, zu überwinden. Es muss uns klar sein: Die erneuerbaren Energien sind die kostengünstigsten Formen, Energie zu gewinnen.
(Stephan Brandner (AfD): Wie kommen Sie auf die Schnapsidee? – Steffen Kotré (AfD): Blödsinn!)
Je schneller wir es schaffen, auf diese umzusteigen, desto schneller machen wir uns unabhängig
(Stephan Brandner (AfD): Wer hat das denn ausgerechnet bei Ihnen?)
von Preissteigerungen und desto schneller machen wir uns unabhängig von Erpressbarkeit, die aktuell wegen Importabhängigkeiten bestehen.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des Abg. Thomas Heilmann (CDU/CSU))
Um noch mal kurz anzuschließen: Die Sonne schickt uns keine 20-jährigen oder 15-jährigen Vertragsbindungen
(Steffen Kotré (AfD): Kohle auch nicht! – Weiterer Zuruf von der AfD: Öl auch nicht!)
oder mit Franz Alt gesprochen: „Die Sonne schickt uns keine Rechnung“.
Solange die Nutzung fossiler Energien noch nicht gänzlich überwunden wurde und aktuell an einem Umstieg auf alternative Bezugsquellen auch für fossile Energien gearbeitet wird, darf es zu keiner schleichenden, faktischen Bevorzugung von fossilen Energieträgern gegenüber erneuerbaren Energien kommen. Wenn wir heute etwa auch das LNG-Gesetz einbringen, auf das meine Kollegen Timon Gremmels und Bengt Bergt noch eingehen werden, wird es auch darauf ankommen, das hier verbriefte überragende öffentliche Interesse, das angesichts der Notlage für den Bau von LNG-Anlandungsmöglichkeiten verbrieft ist, auch auf erneuerbare Energien zu übertragen.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Es darf nicht sein, dass wir durch die Prioritätensetzungen, die angesichts des Krieges auf uns hereinprasseln, zu einer schleichenden Zielverschiebung kommen und wir am Ende von solchen Gesetzgebungsverfahren auf einmal erkennen müssen: Wir haben eine Bevorzugung von fossilen Energieträgern gegenüber erneuerbaren. Nein, das muss umgekehrt sein. Die erneuerbaren Energien müssen immer das Bevorzugte sein,
(Stephan Brandner (AfD): Wo ist denn LNG erneuerbar?)
sonst lähmen wir uns in der Energiewende, statt sie zu befördern.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)
Herr Jung, um auch darauf einzugehen: Natürlich darf es auch keine neuen Deckelungen im Kontext der europäischen Rahmensetzung geben, sondern die erneuerbaren Energien sind ohne Deckelung voranzubringen. Das ist das Primat der erneuerbaren Energien. Es stellt sich zudem die Aufgabe, Engpässe zu überwinden. Wir haben massive Lieferkettenschwierigkeiten; diese betreffen natürlich auch die Energiewende. Auch hier müssen wir schnellstens handeln.
(Stephan Brandner (AfD): Nachdem Sie 20 Jahre gepennt haben!)
Es darf nicht sein, dass die Auswirkungen sich auch in der Energiewende niederschlagen.
Wir haben mit dem Osterpaket enorme Weichenstellungen vor, die Planungshemmnisse, die Genehmigungshemmnisse zu überwinden. Eine Reihe von Maßnahmen ist dort enthalten. Weitere folgen noch durch weitere Vorlagen, wie auch das Beschleunigungsgesetz für Windkraftanlagen, das uns in den nächsten Wochen erreichen wird. Ich freue mich auf die konstruktive Zusammenarbeit in der Ampelkoalition, die wirklich vieles vorhat und vieles schon angeschoben hat. Jeder ist eingeladen, dies konstruktiv zu begleiten.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der FDP)