Rede: Atomgesetz, Entsorgungsfondgesetz

Deutscher Bundestag, 233. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 10. Juni 2021

TO 37:

a) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Siebzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes (Siebzehntes AtG-ÄnderungsG), Drucksache 19/27659
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (16. Ausschuss), Drucksache 19/30488

b) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Achtzehnten Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes (18. AtGÄndG), Drucksachen 19/28682, 19/29587
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (16. Ausschuss), Drucksache 19/30045 – Bericht des Haushaltsausschusses (8. Ausschuss) gemäß § 96 der Geschäftsordnung, Drucksache 19/30349

c) Zweite und dritte Beratung des von den Abgeordneten Dr. Rainer Kraft, Karsten Hilse, Marc Bernhard, weiteren Abgeordneten und der Fraktion der AfD eingebrachten Entwurfs eines … Gesetzes zur Änderung des Atomgesetzes, Drucksache 19/27773
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (16. Ausschuss), Drucksache 19/30045

d) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (16. Ausschuss) zu der Unterrichtung durch die Bundesregierung
Öffentlich-rechtlicher Vertrag über die Zahlung eines finanziellen Ausgleichs aufgrund des beschleunigten Atomausstiegs, Drucksachen 19/29015, 19/29474 Nr. 1.7, 19/30045

e) Zweite und dritte Beratung des von der Bundesregierung eingebrachten Entwurfs eines Ersten Gesetzes zur Änderung des Entsorgungsfondsgesetzes (1. EntsorgFondsÄndG), Drucksachen 19/28685, 19/29563
Beschlussempfehlung und Bericht des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss), Drucksache 19/30487

f) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Umwelt, Naturschutz und nukleare Sicherheit (16. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rainer Kraft, Karsten Hilse, Marc Bernhard, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD
Fukushima und Tschernobyl sachlich betrachten – Der Atomausstieg war ein Fehler und muss rückgängig gemacht werden, Drucksachen 19/23955, 19/24842

g) Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie (9. Ausschuss) zu dem Antrag der Abgeordneten Dr. Rainer Kraft, Karsten Hilse, Marc Bernhard, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der AfD
Kernkraft für Umweltschutz, Drucksachen 19/22435, 19/24904 Buchstabe b

 

Dr. Nina Scheer (SPD):

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es stehen hier mehrere Gesetzentwürfe zur Abstimmung; sie sind schon genannt worden. Ich möchte mich jetzt auf die 17. AtG-Novelle konzentrieren. Zur 18. Novelle hat Staatssekretärin Schwarzelühr-Sutter ja schon etwas ausgeführt.

Mir ist es wichtig, zu erklären, warum wir als Koalitionsfraktionen die Einführung eines In-Camera-Verfahrens im Hauptsacheverfahren im Koalitionsvertrag festgeschrieben haben und warum wir dies in dieser Gesetzesnovelle nicht tun. Dies ist auf die Erarbeitung dieser Novelle zurückzuführen, die sich mit „sehr viel Diskussionen“ umschreiben lässt. Es ging dabei um das Dilemma – um gleich zum Punkt zu kommen –, dass man einerseits zwar die Notwendigkeit einer gerichtlichen Überprüfung für eine behördliche Entscheidung erkennt, man andererseits aber aufgrund von Geheimhaltungsbedürftigkeiten, die im Zusammenhang mit Terrorabwehrgefahren stehen, konstatieren muss, dass nicht alles offengelegt werden kann, eine Überprüfung vonseiten eines Gerichtes im Rahmen eines solchen In-Camera-Verfahrens aber ermöglicht würde.

Ein solches In-Camera-Verfahren hat aber den Nachteil, dass die Klägerseite nicht daran beteiligt ist und es sich für sie nicht erschließt, was vom Gericht überprüft wurde. Dadurch entsteht eine Schieflage im Hauptsacheverfahren, weil die Klägerseite hinterher nicht nachvollziehen kann, aus welchen Tatsachengrundlagen heraus eine Entscheidung durch das Gericht getroffen wurde. Man kann es auch, um es in meine Worte zu fassen, als eine Art geschwärztes Urteil bezeichnen, was dann aus einem solchen Prozess herauskommt.

Es ist auch grundgesetzlich nicht unkritisch, wenn man einen solchen Hergang gesetzlich kodifiziert. Denn sowohl der Anspruch auf rechtliches Gehör nach Artikel 103 Grundgesetz als auch der effektive Rechtsschutz nach Artikel 19 Absatz 4 Grundgesetz sind klare Vorgaben, wie gerichtliche Verfahren und Rechtsschutz auszugestalten sind. Es muss für die Klägerseite nachvollziehbar sein, aus welchen Gründen man von einem Gericht wie behandelt wird. Das ist insofern ein ganz elementarer Grund, als dass wir Willkür durch gerichtliche Entscheidungen und Willkür durch die Staatsgewalt, die dahintersteht, schon im Ansatz nicht wollen.

Dann ist angemerkt worden, dass wir so etwas sehr wohl schon eingeführt haben. Zum Beispiel ist in § 138 Telekommunikationsgesetz das Instrument des In-Camera-Verfahrens zu finden. Nur möchte ich zu bedenken geben – das haben wir sauber reflektiert –: Hier stehen sich in den Verfahren, um die es da geht, meist zwei Private – meist sind es Unternehmen – gegenüber. Unter den Umständen ist die staatliche Seite mit Geheimhaltungsfragen befasst, weil hier zum Beispiel Geheimhaltungsbedürfnisse aufseiten der Unternehmen existieren. In dem Fall handelt es sich um das Verhältnis Privat – Privat, und der Staat muss das beurteilen. Hier allerdings geht es um das Verhältnis Staat – Privat. Wenn hier eine Entscheidung des Gerichts nicht überprüfbar ist, dann kann das kritisch sein. Da wir diese Schieflage nicht auflösen konnten, haben wir uns gegen ein In-Camera-Ver-fahren entschieden.

Wir hatten auch überlegt, ob es noch einen dritten Weg gibt, einen Zwischenweg, dass man sagt: Vielleicht hat das Gericht die Möglichkeit einer Zurückweisung an die Behörde, und dann kann in diesem Zuge ein In-Camera- Verfahren eingeleitet werden. – Aber dann hat man immer noch das Problem, dass letztendlich ein Wissen beim Gericht entsteht, das dann so an die Klägerseite nicht weitergegeben werden kann. Kurzum: Wir haben uns auf diesem Weg durchaus mit schwerem Herzen gegen das In-Camera-Verfahren entschieden, weil wir aus den genannten Gründen da tatsächlich eine überproportionale Schieflage bekommen hätten.

Ich habe dies deswegen mit so vielen Worten ausgeführt, weil es uns in der Tat natürlich auch darum gegangen ist, Mittel und Wege zu finden, dass Rechtsschutz tatsächlich ernst genommen wird, dass Überprüfbarkeit tatsächlich ernst genommen wird. Aber dies darf auch nicht zulasten anderer Rechtsgüter gehen. In diesem Sinne fällt die Entscheidung unsererseits so aus. Wir stimmen dem Gesetzentwurf der Bundesregierung insofern in der vorliegenden Form zu und bitten um Zustimmung.

(Beifall bei der SPD)

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