Zum Referentenentwurf „Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechts der Industrie- und Handelskammern“ (IHKG) erklärt die SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Nina Scheer:
Der „Deutsche Industrie- und Handelskammertags e. V.“ (DIHK) hat seine durch Pflichtbeiträge der Mitgliedskammern (Industrie- und Handelskammern, IHKn) abgesicherte Position in den vergangenen Jahren durchgängig genutzt, um – entgegen dem gesetzlichen Auftrag von IHKn und damit auch des DIHK – Lobbypolitik in Form allgemeiner politischer Positionierungen in verschiedensten Themengebieten voranzutreiben und hierbei häufig zudem gegen die Interessen von Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die Energiewende und andere gewerkschaftliche und sozialdemokratische Positionen zu wirken.
Diese Praxis hat nicht nur wiederholt zu berechtigter Kritik vieler verantwortungsbewusster Mitgliedsunternehmen der IHKn geführt, sondern immer wieder auch die Gerichte beschäftigt. Den Gerichtsverfahren lagen in der Regel Klagen von Unternehmen zugrunde, die ihre jeweiligen Mitglieds-IHKn inzwischen sogar dazu aufgefordert haben, die Rechtsverstöße des DIHK nicht weiter zu dulden und deshalb aus dem Verband (Dachverband der IHKn) auszutreten. Rechtliche Basis dieser Klagen ist das aus guten Gründen in § 1 Abs. 1 und 5 IHKG sowie § 1 Abs. 2 der Satzung des DIHK festgehaltene Verbot einer kompetenzwidrigen Betätigung durch die Behandlung allgemeinpolitischer, insbesondere parteipolitischer Fragen, einschließlich sozial- und arbeitsrechtlicher Belange.
Im Jahr 2016 hatte das Bundesverwaltungsgericht bereits letztinstanzlich entschieden, dass der DIHK systematisch gegen geltendes Recht verstößt, indem er das Verbot allgemeinpolitischer Aussagen und seine Pflicht zu Objektivität, Sachlichkeit und Zurückhaltung verletzt (BVerwG, Urt. V. 23.03.2016 – 10 C 4.15). Der DIHK hatte daraufhin erklärt, diese Praxis einzustellen, hielt sich aber an diese Aussage nicht. Dies hat das BVerwG in seiner am 23.12.2020 veröffentlichten Begründung zum aktuellen Beschluss vom 14.10.2020 auch mit einer Reihe zitierter DIHK-Äußerungen aufgegriffen. Das Gericht hat in seinem jüngsten Beschluss noch einmal ausdrücklich bekräftigt, dass der DIHK bei seinen anhaltenden und schwerwiegenden Verstößen keinerlei Einsicht zeigt und IHK-Mitgliedsunternehmen daher zwingend ein grundrechtlicher Anspruch auf Austritt ihrer Kammern aus dem DIHK zusteht (BVerwG, Beschl v. 14.10.2020 – 8 C 23.19; vgl. https://www.bverwg.de/de/pm/2020/61). Seither beruft sich eine zunehmende Zahl von Unternehmen und IHKn auf ihre grundrechtlich bzw. rechtlich verbürgte Möglichkeit eines Austritts aus dem DIHK (Verein).
Zur Wiederherstellung von Rechtskonformität muss sich der DIHK den gegebenen gesetzlichen und höchstrichterlich konkretisierten Rahmen halten.
Nicht in Betracht kommt in der Sache wie auch nach rechtsstaatlichen Prinzipien hingegen, geltendes Recht an das rechtswidrige Verhalten des DIHK „anzupassen“, wie dies der Referentenentwurf aus dem Bundeswirtschaftsministerium nun allerdings vorsieht.
Bereits die für Dezember 2020 angesetzte Verbändeanhörung war auf Rechtsverstoß angelegt, indem allein dem DIHK – hingegen nicht seinen Mitglieds-IHKn – das Recht der Stellungnahme eingeräumt wurde, obwohl ja eben in den betreffenden rechtlichen Belangen ausweislich der benannten Rechtslage eine Positionierung des DIHK ohne Einholung einer Positionierung seiner Mitglieds-IHKn nicht zulässig ist. Für letztere war in der „über Weihnachten“ angesetzten Verbändeanhörung rein zeitlich kein Raum. Damit hat das Bundeswirtschaftsministerium über die Terminierung der Verbändeanhörung zum Rechtsbruch aufgefordert. Der DIHK unterließ es aber auch seinerseits, Stellungnahmen seiner Mitglieds-IHKn einzuholen.
Auch inhaltlich ist der Referentenentwurf mit Blick auf die folgenden Kernelemente abzulehnen:
- Die Festlegung einer „gesamtgesellschaftlichen Verantwortung“ des DIHK, durch die jenseits des eigentlichen Aufgabenbereichs des DIHK insbesondere Äußerungen zu Arbeitsrecht und Sozialpolitik für rechtmäßig erklärt werden sollen (vgl. Art. 1 RefE, § Abs. 1 S. 1 Nr. 1, S. 2 Nr. 2 und 3, Abs. 5 S. 2 IHKG n.F.).
- Eine Pflichtmitgliedschaft sämtlicher IHKs im DIHK, wodurch ein Austrittsrecht bzw. eine Austrittspflicht der IHKs auch im Falle anhaltender Rechtsverstöße durch den DIHK verhindert würde (vgl. Art. 1 RefE, § 10b Abs. 1, § 13c Abs. 7 IHKG n.F.).
- Die Umwandlung des DIHK in eine Gesellschaft öffentlichen Rechts unter der alleinigen Rechtsaufsicht des BMWi einschließlich personellem Mehrbedarf, wodurch die direkte gerichtliche Kontrolle weiterer Rechtsverstöße des DIHK erschwert werden kann (Art. 1 RefE, § 10b Abs. 2, § 11a Abs. 1 IHKG n.F.).
Um zu verdeutlichen, welche gesellschaftspolitischen Positionen hiermit von der Rechtswidrigkeit in die Legalität überführt würden, verweise ich an dieser Stelle auf exemplarische Aussagen insbesondere aus den Äußerungen des Präsidenten des DIHK sowie der offiziellen Verbandspublikation des DIHK, die in den letzten Jahren von Gerichten durchgängig für rechtswidrig befunden wurden (vgl. hierzu BVerwG, Urt. v. 23.03.2016 – 10 C 4.15; OVG NRW, Urt. v. 12.04.2019 – 16 A 1499/09 m.w.N.). Die vom DIHK vertretenen Positionen standen hierbei nicht selten im direkten Gegensatz zu den Überzeugungen vieler von ihm vertretenen Unternehmen:
- Ablehnung der SPD-Forderungen nach einem Ende sachgrundloser Befristungen von Arbeitsverträgen.
- Stellungnahmen gegen die Einführung des Mindestlohns, die Sozialagenda und die Herabsenkung des Renteneintrittsalters.
- Deutliche Positionierung gegen zusätzliche Klimaschutzmaßnahmen, sofern diese mit Kosten für die Wirtschaft einhergehen (dies entgegen der ausdrücklichen Mehrheit der eigens befragten Mitgliedsunternehmen).
- Gleichsetzung des Klimaschutzes mit einer Minderung der Lebensqualität, illustriert durch die polemische Frage, ob „wir“ wieder mit 34 PS über die Alpen nach Italien fahren wollen.
- Vermeidung einer intensiveren Regulierung von CO2-Emmissionen und Ablehnung von Quoten für Elektrofahrzeuge sowie Beendigung der Förderung Erneuerbarer Energien aus Kraft-Wärme-Kopplung sowie der Offshore-Haftungsumlage.
- Umfangreiche dezidiert bildungspolitische Aussagen, insbesondere zugunsten der Einführung von Studiengebühren und gegen das föderale Bildungssystem.
- Forderung nach einem Ende der Diskussionen um die Amtsausübung des damaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Hans-Georg Maaßen.
- Diverse allgemeinpolitische Kritik und Forderungen an die Europäische Union, den Europäischen Rat und die Große Koalition.
- Scharfe allgemeinpolitische Kritik an den Regierungen Südafrikas, Kenias und Italiens einschließlich fiskal-, kriminal- und bildungspolitischer Forderungen.
- Bezeichnung der Erbschaftssteuer als „Neidsteuer“ im Kontext künftiger Steuerreformen.
- Klare Positionierung gegen ein Lieferkettengesetz zum Schutz von Menschenrechten.
Eine Änderung des IHK-Gesetz käme einem Freibrief für eine Fortsetzung der rechtswidrigen Lobbytätigkeiten des DIHK gleich und ist insofern abzulehnen.
Zum Positionspapier von Dr. Nina Scheer als PDF.