Persönliche Erklärung der Abgeordneten Dr. Nina Scheer zum Abstimmungsverhalten nach § 31 Absatz 1 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages zum „Entwurf eines Gesetzes zur Verlängerung der Aussetzung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten“ (Drucksache 19/439) und zum Änderungsantrag der Fraktionen der CDU/CSU und der SPD am 1. Februar 2018
Mit der Neuregelung des Familiennachzuges gemäß der aktuellen Ausschussdrucksachen soll die Aussetzung bis zum 31. Juli 2018 befristet verlängert werden. Zugleich sieht die Regelung gemäß einer Neureglung von § 104 Abs. 13 vor, dass ab dem 1. August 2018 aus humanitären Gründen im Umfang von monatlich bis zu 1000 Personen, ergänzt um eine Härtefallregelung, der Familiennachzug für Angehörige von subsidiär Schutzberechtigten ermöglicht werden kann. Dabei wird explizit erklärt, dass der bisher gesetzlich geltende (und nur ausgesetzte) Anspruch auf Familiennachzug „nicht existiert“ bzw. abgeschafft wird. Die „Kann-Regelung“ lässt hinsichtlich der monatlichen Kontingente von je 1000 Personen im Unklaren, wie und damit auch wann ein Zuzug erfolgen wird, weil für „Nähere(s)“ auf ein „noch zu erlassendes Bundesgesetz“ verwiesen wird. Von heute aus gesehen ist allerdings unklar, mit welchen Mehrheiten und Einigungsinhalten es zustande kommen wird. Ein Ausbleiben eines solchen Gesetzes stellt die Umsetzung des Nachzuges aus den monatlichen Kontingenten in Frage. Von heute aus gesehen halte ich es für nicht ausgeschlossen, dass die vorliegende Neuregelung – mit Ausnahme von Härtefällen – zu einer gänzlichen Abschaffung des Familiennachzugs zu subsidiär Schutzberechtigten führen kann.
Ein Unterbinden von Familiennachzug widerspricht ethischen Grundprinzipien und konterkariert das Streben nach Integration und gesellschaftlichem Zusammenhalt. Bereits die nun auslaufende befristete Aussetzung des Familiennachzugs vom März 2016 war ein von der SPD nur mit großen Vorbehalten und eingeschränkt mitgetragener Kompromiss, dessen Voraussetzungen sich im Nachhinein teilweise als nicht stimmig erwiesen. So handelte es sich um deutlich mehr betroffene Personen, als von Seiten des Bundesinnenministeriums damals unterstellt.
Insofern begrüße ich das Auslaufen der Aussetzung des Familiennachzuges, womit – ohne eine Neuregelung – der (gemeinsam mit CDU/CSU im Jahr 2015 verabschiedete) Rechtsrahmen zum Familiennachzug zu subsidiär Schutzberechtigten wieder belebt wird.
Schließlich entspricht die Ermöglichung des Familiennachzugs auch den verfassungsgerichtlichen Anforderungen, wenn es gemäß eines Grundsatzurteils heißt: „Die Beeinträchtigung der Belange von Ehe und Familie durch das Erfordernis einer dreijährigen Ehebestandszeit als Nachzugsvoraussetzung übersteigt auch im Blick auf entgegenstehende öffentliche Interessen das von den Betroffenen hinzunehmende Maß“, vgl. BVerfG, 12. Mai 1987. Und dabei hat das Gericht noch nicht die unsichere Situation der Flüchtlinge berücksichtigt.
Einigungsgrundlagen aus den Sondierungen zwischen CDU/CSU und SPD sollten nach meinem Verständnis nur dann im Vorgriff auf ein mögliches koalitionäres Bündnis Anwendung finden, wenn sie für sich genommen der Programmatik der jeweiligen Partner entsprechen oder aus sich heraus einigungsfähig sind. Dies trifft für eine fortgesetzte Einschränkung des Familiennachzuges für die SPD nicht zu. Die SPD hat sich im Regierungsprogramm zur Bundestagswahl 2017 gar für eine Abschaffung der Aussetzung des Familiennachzugs für subsidiär Schutzberechtigten ausgesprochen. Die Umsetzung der vorliegenden Regelungen wäre das Gegenteil dessen.
Das Wesen von Koalitionen ist es Kompromisse einzugehen. Gemeinsame Gesetzesvorhaben in Umsetzung von Koalitionsverträgen entsprechen selten umfänglich den allseitigen politischen Zielvorgaben.
Die verlängerte Aussetzung mit anschließender Neuregelung bedeutet einen Vorgriff auf mögliche Koalitionsvereinbarungen, für die bis heute keine abschließende Gesamt-Einigung erreicht wurde (und die zunächst durch das SPD-Mitgliedervotum zu bestätigen wäre).
Die CDU/CSU-Fraktion ist bis heute eine Erklärung schuldig geblieben, aus welchem Grund sie (nachdem die Anzahl an Schutzsuchenden deutlich zurückgegangen ist) eine Verlängerung der Aussetzung für nötig befindet, während ihr doch vor zwei Jahren, als die Anzahl der Schutzsuchenden deutlich höher lag, eine Aussetzung von zwei Jahren als ausreichend erschien.
Nicht maßgeblich zur Entscheidungsfindung ist für mich der Verweis auf eventuelle Mehrheiten, die in noch weitergehendem Maße den Familiennachzug einschränkten. Eine solche Mehrheit wäre für die Union jenseits eines Jamaika-Bündnisses nur mit der AfD denkbar. Sollte sich die CDU/CSU-Fraktion eines solchen Bündnisses zur Änderungen der Regelungen zum Familiennachzug bedienen, sollte eben dies Gegenstand der parlamentarischen Auseinandersetzung werden. Keine Fraktion sollte sich hingegen aus Angst vor anderen Bündnissen erpressbar machen. Letzteres nivelliert die Unterscheidbarkeit der Parteien und Fraktionen, belastet parlamentarische Transparenz und erschwert den Menschen eine politische Orientierung.
Aus den genannten Gründen kann ich den betreffenden Neuregelungen nicht zustimmen.