Persönliche Erklärung: Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems

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Erklärung nach § 31 GO BT der Abgeordneten Dr. Nina Scheer zum Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 90, 91c, 104b, 104c, 107, 108, 109a, 114, 125c, 143d, 143e, 143f, 143g), Drucksache 18/11131 und zum Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab dem Jahr 2020 und zur Änderung haushaltsrechtlicher Vorschriften, Drucksache 18/11135

Der Deutsche Bundestag stimmt heute über die Entwürfe der Bundesregierung zur Änderung des Grundgesetzes und zur Neuregelung des bundesstaatlichen Finanzausgleichssystems ab dem Jahr 2020 ab.

I. Nach mehr als zwei Jahren Verhandlungen hatten sich Länder und Bundesregierung – ohne Beteiligung des Parlaments – im Dezember 2016 auf eine Neuordnung der Finanzbeziehungen für die Zeit nach 2019 verständigt. Danach übernimmt der Bund im Ergebnis künftig eine deutlich stärkere Rolle beim Ausgleich der Finanzkraft zwischen den Bundesländern. Finanzstarke Länder sollen dabei entlastet werden. Diesen Ansatz sehe ich kritisch; ich halte es für nicht sachgerecht, dass ein solch wesentlich die Ausgeglichenheit von Lebensverhältnissen und Entwicklungsperspektiven innerhalb Deutschlands mitbestimmendes Regelwerk ohne inhaltliche Beteiligung des Deutschen Bundestages erfolgt. Zugleich drängt die Zeit und Notwendigkeit einer Neuregelung des Bund-Länder-Finanzausgleichs, da die bisherige Solidarsystematik ausläuft. So verbleibt bis heute nur die Möglichkeit, die bereits zwischen den Ländern und der Bundesregierung geeinigte Neuregelung seitens des Bundestages zu beschließen.

II. Ferner enthalten ist die Gründung einer Verkehrsinfrastrukturgesellschaft des Bundes, die den Bau, die Planung und Verwaltung der Autobahnen und weiterer Bundesstraßen neu organisieren soll. Auf Druck der SPD wurden die Pläne von CDU-Finanzminister Schäuble und CSU-Verkehrsminister Dobrindt, private Unternehmen umfangreich an den Autobahnen in Deutschland beteiligen zu können, entscheidend entschärft. Die Position der SPD hat sich im parlamentarischen Verfahren nicht geändert: Von Beginn an haben wir uns klar gegen eine Privatisierung der Verkehrsinfrastruktur ausgesprochen und entsprechende Änderungen an den Gesetzentwürfen eingefordert. In mehreren Verhandlungsrunden mit dem Koalitionspartner konnten wir somit umfangreiche Änderungen durchsetzen und Privatisierungsschranken einziehen.

Zusammengefasst konnten wir diesbezüglich Folgendes durchsetzen:

1. „Eine unmittelbare oder mittelbare Beteiligung Dritter an der Infrastrukturgesellschaft und möglichen Tochtergesellschaften ist ausgeschlossen.“ Dies wird verfassungsrechtlich und einfachgesetzlich geregelt.
2. Eine funktionale Privatisierung durch die Übertragung eigener Aufgaben der Gesellschaft auf Dritte, z.B. durch Teilnetz-ÖPP, wird ausgeschlossen. In Artikel 90 Absatz 2 des Grundgesetzes wird dazu der Satz eingefügt: „Eine Beteiligung Privater im Rahmen von Öffentlich-Privaten Partnerschaften ist ausgeschlossen für Streckennetze, die das gesamte Bundesautobahnnetz oder das gesamte Netz sonstiger Bundesfernstraßen in einem Land oder wesentliche Teile davon umfassen.“
3. Eine Übertragung von Altschulden auf die Gesellschaft wird ausgeschlossen.
4. Die Gesellschaft wird nicht kreditfähig. Damit ist die Gefahr einer Aufnahme von privatem Kapital zu hohen Zinsen gebannt. Um effizient wirtschaften und „atmen“ zu können, kann die Gesellschaft aber Liquiditätshilfen (zinslose Darlehen) aus dem Bundeshaushalt erhalten – wie andere Bundesgesellschaften auch.
5. Das wirtschaftliche Eigentum an den Fernstraßen geht nicht an die Gesellschaft über, sondern bleibt beim Bund. Die Übertragung und die Überlassung von (Nießbrauch-)Rechten werden ausgeschlossen.
6. Mautgläubiger bleibt der Bund (für Lkw-Maut und Pkw-Maut). Die Option, dass die Gesellschaft das Mautaufkommen direkt vereinnahmen kann, ist gestrichen. Die zweckgebundenen Einnahmen (Lkw-Maut, Pkw-Maut) fließen der Gesellschaft wie bisher über den Bundeshaushalt zu.
7. Das Verkehrsministerium kann Befugnisse und Aufgaben der Gesellschaft und des Fernstraßen-Bundesamtes nur dann auf andere vom Bund gegründete Gesellschaften übertragen, wenn diese im ausschließlichen Eigentum des Bundes stehen.
8. Spartengesellschaften sind ausgeschlossen. Zur Herstellung der Präsenz in der Fläche kann die Gesellschaft aber bedarfsgerecht bis zu zehn regionale Tochtergesellschaften gründen, die denselben Restriktionen unterliegen wie die Muttergesellschaft.
9. Die Gesellschaft wird als GmbH errichtet. Die Evaluationsklausel, die eine einfache Umwandlung zur AG ermöglicht hätte, wird gestrichen.
10. Der Gesellschaftsvertrag (= Satzung) der GmbH und wesentliche Änderungen bedürfen der vorherigen Zustimmung durch den Haushaltsausschuss und den Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages.
11. Eine unabhängige externe Prüfung der Haushalts- und Wirtschaftsführung der Gesellschaft sowie möglicher Töchter wird sichergestellt, indem entsprechende Prüfrechte des Bundesrechnungshofes verankert werden.
12. Kontroll- und Einflussmöglichkeiten des Parlaments auf Verkehrsinvestitionen bleiben vollumfänglich erhalten.
13. Der fünfjährige Finanzierungs- und Realisierungsplan für Verkehrsinvestitionen der Gesellschaft bedarf der vorherigen Zustimmung durch den Haushaltsausschuss und den Verkehrsausschuss des Deutschen Bundestages (während dieser 5-Jahresplan nach heutigem Recht den Ausschüssen vom Verkehrsministerium nur „zur Kenntnis“ und damit ohne Zustimmungsvorbehalt vorgelegt wird).

Für die ca. 11.000 Beschäftigten der Straßenbauverwaltungen der Länder, die in den nächsten Jahren vermutlich überwiegend zum Bund wechseln werden, konnten wir folgende Verbesserungen erreichen:

1. Zum Personalübergang von den Straßenbauverwaltungen der Länder werden – abweichend vom Regierungsentwurf – die Mitbestimmung der Beschäftigten gestärkt, die Freiwilligkeit zum Prinzip erhoben und die vorgesehenen Eingriffe in die Tarifautonomie korrigiert – Kernforderungen der Gewerkschaften werden damit umgesetzt.
2. Der Bund wird alle wechselbereiten Beschäftigten (bis zu 11.000 Beamte, Arbeitnehmer und Auszubildende) übernehmen. Nicht wechselbereite Beschäftigte bei Ländern und Kommunen werden weiterbeschäftigt, deren Personalkosten werden den Ländern voll erstattet.
3. Das Widerspruchsrecht wird unmissverständlich verankert: Die Vorschriften des § 613 a BGB über den Betriebsübergang finden analog Anwendung. Die Weiterverwendung erfolgt grundsätzlich am bisherigen Arbeitsplatz und Arbeitsort.
4. Für die Beschäftigten bei der Gesellschaft sind Tarifverträge abzuschließen. Für die Überleitung der Beschäftigten werden Überleitungstarifverträge angestrebt. Beides wird gesetzlich geregelt.
5. Die Personalvertretungen werden an der Arbeit des begleitenden Bund-Länder-Gremiums beteiligt, sofern Belange der Beschäftigten berührt sind.
6. Der Übergang erfolgt zügig, die neue Struktur soll schnell leistungsfähig sein. Die Gesellschaft soll deutlich früher den Betrieb aufnehmen als zum 1. Januar 2021, wie im Regierungsentwurf vorgesehen. Sie wird 2018 gegründet. Ferner wird die Verkehrsinfrastrukturfinanzierungsgesellschaft (VIFG) zum 1. Januar 2019 auf die neue Gesellschaft verschmolzen, anstatt ihre Aufgaben scheibchenweise zu übertragen und die VIFG dann aufzulösen.
7. Die Auftragsverwaltung kann schon vor dem 31. Dezember 2020 beendet werden. Die Gesellschaft kann ab dem 1. Januar 2020 im Einvernehmen mit dem jeweiligen Land die Planung und den Bau von Bundesautobahnen wahrnehmen.
8. Sobald ein Land sein auf die Gesellschaft zu übertragendes Personal und die Sach-mittel vollständig übertragen hat, übernimmt der Bund auch vor 2021 die Kosten für die vom Bund veranlassten Planungen. Damit wird Fehlanreizen für die Länder bei ihren Planungsleistungen entgegengesteuert.

III. Mit einem weiteren Baustein des Gesetzespakets werden 3,5 Mrd. Euro für die Bildungsinfrastruktur in finanzschwachen Kommunen zur Verfügung gestellt. Dadurch kann der teils massive Sanierungsstau an deutschen Schulen – zumindest teilweise – beseitigt werden. Ermöglicht wird dies durch den Aufbruch des im Grundgesetz verankerten Kooperationsverbots. Dies hat die SPD durchgesetzt.

IV. Im Gesamtpaket findet sich eine wesentliche Erleichterung für alle Alleinerziehenden und ihre Kinder: Der Unterhaltsvorschuss wird deutlich ausgebaut. Zum einen wird die Altersgrenze angehoben von jetzt 12 auf 18 Jahre. Zum anderen wird die bisherige zeitliche Befristung von maximal 6 Jahren Bezugsdauer abgeschafft. Der Bund beteiligt sich nach der Ausweitung deutlich mehr an den Kosten des Unterhaltsvorschusses. Da es für Alleinerziehende besonders schwer ist, Erwerbsarbeit und Kinderbetreuung miteinander zu vereinbaren, ist diese Reform ein großes Stück mehr Gerechtigkeit in unserem Land.

Insgesamt stimme ich dem Gesetzespaket in einer Abwägung, wonach die Verbesserungen gegenüber eventuell eintretenden Verschlechterungen überwiegen, zu. Zwar war ein völliger Ausschluss von ÖPP im Grundgesetz mit dem Koalitionspartner nicht zu realisieren. Mit den ergänzenden einfachgesetzlichen Schranken wird aber eine Eingrenzung von ÖPP vorgenommen, die es mit der bisherigen Rechtslage nicht gab. ÖPP wird somit nun weitgehend ausgeschlossen.

Gleichwohl besteht die Gefahr, dass unter einer zukünftigen Schwarz-gelben Koalition im Deutschen Bundestag die gesetzlichen Restriktionen, die wir von der SPD eingebracht haben und heute für die Verkehrsinfrastrukturgesellschaft des Bundes beschließen, ausgehebelt werden könnten. Mit dem vorliegenden Gesetzespaket konnten wir leider nicht so weitgehende Privatisierungsschranken grundgesetzlich sichern, dass nicht mit anderen Mehrheitsverhältnissen und einfachgesetzlichen Änderungen einige jetzt eingezogenen Schranken wieder aufgebrochen werden können. Die Unionsfraktion hat leider alle noch weitergehenden Schranken verweigert. Eben dieser Aspekt, wie auch die Frage, ob die zu gründende Infrastrukturgesellschaft zu zeitlichen Verzögerungen in der Umsetzung von anstehenden Bauvorhaben führen können, wirken als politische Aufgabe fort und sollten als Appell verstanden werden, mit der anstehenden Bundestageswahl kein Mehrheitsverhältnis zu ermöglichen, das für Privatisierung spräche.

 

Dr. Nina Scheer, MdB
Berlin, 1. Juni 2017

 

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