Rede zu Protokoll: Subsidiaritätsrüge zum Energiepaket der EU-Kommission

228. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 30. März 2017

Tagesordnungspunkt 26

Zu Protokoll gegebene Rede zur Beratung der Beschlussempfehlung und des Berichts des Ausschusses für Wirtschaft und Energie:

– zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates über den Elektrizitätsbinnenmarkt (Neufassung)

KOM(2016) 861 endg.; Ratsdok. 15135/16

– zu dem Vorschlag für eine Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates zur Gründung einer Agentur der Europäischen Union für die Zusammenarbeit der Energieregulierungsbehörden (Neufassung)

KOM(2016) 863 endg.; Ratsdok. 15149/16

hier: Stellungnahme gemäß Protokoll Nr. 2 zum Vertrag von Lissabon (Grundsätze der Subsidiaritäts- und Verhältnismäßigkeitsprüfung)

Dr. Nina Scheer (SPD):

In Form des vorliegenden Antrags befasst sich das Parlament mit der Frage, inwiefern Maßnahmen aus dem sogenannten EU-Winterpaket bzw. „Saubere Energien für alle Europäer“ die Grundsätze der Subsidiarität und der Verhältnismäßigkeit tangieren bzw. gegen diese verstoßen.

Auch wenn der Antrag nur zwei Bereiche benennt – die Elektrizitätsbinnenmarktverordnung sowie die ACER-Verordnung –, möchte ich unterstreichen, dass sich der Bundestag hiermit ausdrücklich vorbehält, auch zu weiteren Aspekten des Vorschlagspakets Stellung zu beziehen; denn das betreffende und noch im Einzelnen zu beratende Paket erzielt solch grundlegende Neustrukturierungen zum Umgang mit Energie, dass hierbei zwangsläufig auch Bereiche angesprochen sind, die ausweislich des Vertrages von Lissabon Angelegenheit der Mitgliedstaaten sind.

Die mit dem EU-Energiepakt zu klärenden Fragen werfen somit zugleich eine ganz grundsätzliche Frage auf: Wie gehen wir mit Kompetenzüberschneidungen zur Ausgestaltung des Binnenmarktes in EU-Zuständigkeit auf der einen Seite und Artikel 192 sowie 194 des Vertrages von Lissabon auf der anderen Seite um, wonach der Energiemix Angelegenheit der Mitgliedstaaten ist? Dies betrifft auch Maßnahmen, die die allgemeine Struktur der Energieversorgung eines Mitgliedstaates erheblich berühren.

Am Beispiel Deutschlands lässt sich gut erkennen, wie sich dieses Spannungsverhältnis darstellt: Mit einem wachsenden Anteil erneuerbarer Energien, insbesondere Wind und Solar und damit sogenannten fluktuierenden  Energien, steigt der Bedarf an Flexibilitäten, um eine Versorgung kontinuierlich aufrechtzuerhalten. Sinnvollerweise sind hierbei Synergien zu heben, sowohl in Form einer Verknüpfung der Sektoren Strom, Wärme und Mobilität als auch unter Einbindung von bereits vorhandener oder auszubauender Infrastruktur. Wenn etwa die Einbeziehung von Speichern sowohl mit Blick auf kontinuierliche Verfügbarkeit von Energie als auch für die Mobilität gelingt, ist dies ökonomisch sinnvoll und lässt uns schneller sektorübergreifend den klimapolitisch und ressourcenverknappungsbedingt notwendigen Umstieg auf erneuerbare Energien gelingen. Dies ist auch aus Gründen der Gerechtigkeit wichtig: Nicht erst, wenn der Klimawandel um sich greift und verknappte Energieressourcen zum Spekulationsobjekt werden, sollten wir die Energiewende vollzogen haben. Die skizzierte Entwicklung bedeutet aber auch, dass sich Fragen des Energiemixes, des Einsatzes von Energie und Fragen der Energievermarktung sowie Energieverbringung immer enger miteinander verflechten. Damit wird ein Auseinanderhalten der unterschiedlichen Kompetenzen immer schwerer.

Im Lichte der Subsidiarität und der geschilderten Zusammenhänge erwarte ich, dass die Kommission ein stärkeres Augenmerk darauf richtet, welcher Bereich der Energiewirtschaft sinnvollerweise als Angelegenheit der Mitgliedstaaten in deren Regelungshoheit verbleibt. Der europäische Energiemarkt darf sich nicht überfordern. Er sollte nicht stärker zusammenwachsen, als dies der Umgang mit dem jeweiligen Energiemix der Mitgliedstaaten mit Blick auf alle Sektoren sinnvollerweise erlaubt. Im Sinne der Subsidiarität sollten Staaten Netzmanagementaufgaben insoweit regelungstechnisch vorbehalten bleiben, wie dies mit Blick auf ihren jeweiligen Energiemix sinnvollerweise ihrerseits zu regulieren ist. So ist etwa die Änderung des ACER-Abstimmungsverfahrens kritisch zu sehen. Die Gestaltung des Energiemarktes sollte wegen dessen Verquickung mit dem nationalen Energiemix nicht den nationalen Gestaltungsmöglichkeiten entzogen werden. Andernfalls droht insbesondere in solchen Staaten die Energiewende ins Stocken zu geraten, in denen ein vergleichsweise hoher Flexibilitätsbedarf besteht, somit in Staaten mit einem wachsenden bzw. hohen Anteil erneuerbarer Energien. Damit würden wir weder unseren internationalen Klimaschutzverpflichtungen gerecht noch den mit der Energiewende gegebenen Chancen.