Persönliche Erklärung zur Abstimmung: Sichere Herkunftsstaaten

Erklärung nach § 31 GO der Abgeordneten Dr. Nina Scheer zur namentlichen Abstimmungen über den von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Einstufung der Demokratischen Volksrepublik Algerien, des Königreichs Marokko und der Tunesischen Republik als sichere Herkunftsstaaten (Drucksache 18/8039) zur zweiten und dritten Beratung am 13. Mai 2016.

Grundsätzlich halte ich es mit Blick auf das Rechtsschutzbedürfnis von Flüchtlingen, aber auch die gegenwärtig sehr hohe Zahl zu bearbeitender Anträge für erforderlich, Wege der Verfahrensbeschleunigung zu suchen. Lange Verfahrenszeiten stellen nicht zuletzt eine psychische Belastung für die Betroffenen dar und erschweren die Integration.

Schritte der Verfahrensbeschleunigung sollten dabei aber immer in einem ausgewogenen Verhältnis zu den Einschränkungen an Rechtsschutz stehen, die hierbei in Bezug auf die Schutzsuchenden entstehen können.

An die Einstufung als sog. sicherer Herkunftsstaat ist eine Verfahrensbeschleunigung geknüpft, aber auch eine Beweislastumkehr. Mit der Einstufung von Tunesien, Algerien und Marokko als sichere Herkunftsstaaten wird an die niedrige Anerkennungsquote von dort Flüchtenden geknüpft. 99,3 % aller Anträge von Flüchtenden aus diesen drei Staaten werden danach aktuell abgelehnt.

Vor dem Hintergrund der individuellen Schutzbedürftigkeit, die das Asylrecht richtigerweise zuerkennt und der Erkenntnis, dass zumindest in Marokko von Folter und weiteren Menschenrechtsverletzungen ausgegangen werden muss, erachte ich die Anerkennung als sichere Herkunftsstaaten für sich genommen als nicht gerechtfertigt. Mit der Einstufung von Staaten als sichere Herkunftsstaaten wird ein sachlich nicht zu begründender Anschein von Rechtsstaatlichkeit erzeugt. Es besteht zudem die Gefahr, dass mit dem Anschein die in den betreffenden Staaten erfolgenden Menschenrechtsverletzungen in den Hintergrund treten und somit der Druck auf einen Veränderungsprozess in den betreffenden Staaten abnimmt. Zugleich muss allerdings auch erkannt werden, dass trotz dieser Einstufung der Asylschutz in Deutschland im Grundsatz bestehen bleibt, auch wenn sie den Rechtsschutz verengt.

Die heutige Entscheidung steht sachlich in dem Kontext der koalitionären Einigung vom 5. November 2015 und 28. Januar 2016 über das Asylpaket II. Die nun bereits einige Monate zurückliegende Einigung stellte insbesondere vor dem Hintergrund des anschwellenden Rechtsextremismus auch die Regierungsfähigkeit der Bundesregierung in Frage und erforderte auch vor diesem Hintergrund eine stabile Einigung. Die Einigung war trotz großer Differenzen zwischen den Koalitionspartnern zustande gekommen, wovon jene somit auch in Form von Kompromissen gekennzeichnet ist. In diesem Zusammenhang steht auch die heutige Entscheidung über die Einstufung von Tunesien, Marokko und Algerien als sichere Herkunftsstaaten, der ich vor diesem Hintergrund trotz der genannten inhaltlichen Vorbehalte zustimme.

 

Dr. Nina Scheer, MdB

Berlin, 13. Mai 2016

 

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