Wie viel Freiheit braucht internationaler Handel?

<p>Zu einer Podiumsdiskussion ihrer Veranstaltungsreihe „Chancen ergreifen – Zukunft gestalten“ lud die örtliche SPD-Bundestagsabgeordnete Dr. Nina Scheer gemeinsam mit dem SPD Ortsverein Reinbek am 17. September zum Thema „Wie viel Freiheit braucht internationaler Handel?“ ein. In der Begegnungsstätte Neuschönningstedt diskutierten Nina Scheer und Prof. Dr. Siegfried Broß, Richter des Bundesverfassungsgerichts a.D. und Richter am Bundesgerichtshof a.D. mit 40 interessierten Bürgerinnen und Bürgern unter der Moderation von Dr. Jan Vollmeyer, ASJ Vorsitzender der SPD Schleswig-Holstein, über Ziele und Zwecke und Nutzen von Freihandelsabkommen. Hierbei standen neben Fragen zu Schiedsgerichten und Investitionsschutz insbesondere die grundsätzliche Verfassungskonformität der aktuell verhandelten Abkommen, CETA – in der seit August 2014 vorliegenden Vertragsentwurfsfassung – und TTIP unter Bezugnahme auf das Verhandlungsmandat und Verhandlungsprotokolle – im Mittelpunkt. Prof. Broß verdeutlichte, dass sowohl Regelungen zur Regulatorischen Zusammenarbeit, wie sie mit CETA vereinbart wurden, als auch zur Schiedsgerichtsbarkeit mit den verfassungsrechtlichen Souveränitätsrechten nicht vereinbar seien.</p> <p>Nina Scheer hob während der angeregten Diskussion hervor: „Mit der Regulatorischen Zusammenarbeit bzw. Kooperation wird jede rechtliche Fortentwicklung danach überprüft, ob sie mit der vertraglichen Zielvorgabe, ungehinderten bzw. freien Handel zu ermöglichen, vereinbar ist. Mit dem Vertrag binden sich die Vertragspartner, der Leitlinie des freien Handels und der hiermit einhergehender Prämisse von Deregulierung zu folgen. Das ist weder mit meinem Demokratieverständnis noch mit dem in einer sozialen Marktwirtschaft erforderlichen Interessensausgleich vereinbar.“</p> <p>Prof. Broß, mit seiner scharfen Kritik an den Schiedsgerichten häufig zitiert, wies auf die Gefahr der Unterwanderung staatlicher Gerichte durch Schiedsgerichte hin. Scheer und Broß stimmten darin überein, dass es nicht ausreiche, die Gerichtsbarkeit für sich genommen verfassungskonform zu gestalten und insofern die Schiedsgerichtsbarkeit aus den Verträgen zu streichen, sondern dass es auch den Investitionsschutz aufzugreifen gelte. Investitionsschutz mit sogenannter Inländerdiskriminierung, wonach ausländischen Unternehmen gegenüber inländischen Unternehmen gesonderten Investitionsschutz erhalten, sei nicht tragbar. Scheer in diesem Zusammenhang: „Es kann zudem nicht sein, dass sich ein Staat aus Sorge vor eventuellen Schadensersatzforderungen in seinem Recht, regulierende Rahmen zu setzen, eingeschränkt fühlt und vor diesem Hintergrund möglicherweise regulatorische Maßnahmen unterlässt, obwohl er sie aus einem Verbraucher- oder Umweltschutzinteresse heraus für erforderlich hält.“</p> <p>Ebenfalls diskutiert wurde die Frage nach dem Nutzen der Abkommen. Es herrschte viel Zustimmung im Saal, dass es hilfreich sei, Handelsvereinbarungen in Orientierung an Standards eines Sozialstaats oder nach den Grundsätzen Nachhaltiger Entwicklung zu treffen. Scheer erörterte, dass solche Inhalte mit den Freihandelsabkommen aber bislang nicht verfolgt würden. Mit solchen Handelsvereinbarungen wäre es – im Gegensatz zur heutigen Ausgestaltung von CETA – den Staaten unbenommen, mit eigenen Standards über die vereinbarten Standards hinaus zu gehen bzw. individuell schärfere Standards zu setzen. Nina Scheer abschließend: „Für Handelsvereinbarungen in Orientierung an den Grundsätzen Nachhaltiger Entwicklung bedarf es einer Neuausrichtung der Europäischen Handelspolitik.“</p>

Foto v.l.: Dr. Jan Vollmeyer, Dr. Nina Scheer, Prof. Dr. Siegfried Broß. ©Günther Heitmann