Rede zu Freihandelsabkommen, 12. Juni 2015

Nina Scheer zum Antrag der LINKEN „Keine Paralleljustiz für internationale Konzerne durch Freihandelsabkommen“:

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Ich denke, wir alle hier in diesem Haus sollten uns vergegenwärtigen, warum wir diese Diskussionen führen. Der Grund ist, dass wir eine Prozessverantwortung zu übernehmen haben. Es geht darum, dass sich die Parlamentarier, auch wenn sie nicht unmittelbar am Verhandlungstisch sitzen, damit befassen sollten, was zwischen der Erteilung eines Verhandlungsmandats und dem späteren Abschluss eines Handelsabkommens steht.

Zwischen dem formaljuristischen Auftrag an die Kommission, doch bitte etwas auszuhandeln, und der späteren Aufforderung zur Ratifizierung kann sich einiges verändert haben. Diese Änderungen liegen in der Natur der Sache von solchen über Jahre auszuhandelnden Abkommen. Deswegen sollten wir uns hier nicht gegenseitig das Leben schwer machen, wenn es darum geht, genau diese Prozessverantwortung zu übernehmen und diese Dinge, die sich in den letzten Jahren und vor allem in den letzten Monaten im Laufe dieses Prozesses, also auch während der Verhandlungen, als Änderungsbedarfe gezeigt haben, fortzuentwickeln.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst (DIE LINKE): CETA ist fertig!)

Die SPD hat in dem Bereich der Fortentwicklung von Handelsabkommen mit ihrem Konventbeschluss schon entscheidende Fortschritte erzielt. Sie hat aufgezeigt, wo der Nutzen liegen könnte, hat aber auch ganz klar aufgezeigt, wo die roten Linien sind. Ich sehe überhaupt nicht, dass wir zurzeit dabei wären, diese roten Linien zu überschreiten. Ganz im Gegenteil: Der Vorschlag, zu einer ordentlichen Gerichtsbarkeit bzw. weg von den Schiedsgerichten zu kommen, ist ein erster wichtiger Schritt. Es geht in den weiteren Schritten darum, zu überprüfen, inwieweit regulatorische Kooperationen möglicherweise eine Aushebelung bedeuten können oder inwieweit der zurzeit noch verfolgte Negativlistenansatz tatsächlich innerhalb der roten Linien, die man definiert hat, umzusetzen ist.

Wenn wir jetzt – wir sehen ja, wie schwierig es ist, zu den einzelnen Punkten vorzudringen – einfach sagen: „Das Europaparlament hat eine Schlappe erlitten“, dann finde ich das den Kollegen gegenüber nicht fair.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU – Klaus Ernst (DIE LINKE): Es ist aber so!)

Es gab eine intensive Auseinandersetzung. Es gab einen Beschluss vom Handelsausschuss. Es gab auch noch zusätzliche Änderungen. All das zeigt: Die Debatte lebt. Gleichzeitig gilt aber die Verfahrensvorschrift: Wenn es zu viele Änderungen gibt, dann muss die Debatte vertragt werden.

(Klaus Ernst (DIE LINKE): Aber nicht die Debatte! Die Abstimmung!)

Was ist bitte schön daran das Problem? Insofern möchte ich an Sie appellieren, diesen Prozess wertzuschätzen.

Wir sind zurzeit dabei, die Gerichtsbarkeit zu ändern, obwohl das Verhandlungsmandat ebendiese Schiedsgerichtsbarkeit vorsieht. Das ist eigentlich ein historischer Schritt. Es ist die Arbeit der Parlamentarier, nicht die der Kommission, zu sagen: Es gibt diese Gestaltungsspielräume. Wir brauchen sie, und wir haben ein Recht darauf.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn Sie jetzt einfach behaupten, lieber Herr Ernst, dass mit der Schaffung der Gerichtsbarkeit der Investitionsschutz zementiert würde – so ähnlich haben Sie sich gerade ausgedrückt, auf den Wortlaut möchte ich mich hier nicht festlegen -, dann ist das einfach falsch. Die Verhandlungen zur Gerichtsbarkeit sind, wie gesagt, ein erster wichtiger Schritt, von der Schiedsgerichtsbarkeit wegzukommen. Aber was nun tatsächlich Rechtsmaterie ist, ob die Bürger außen vor bleiben sollen, wie Sie das unterstellt haben, ist überhaupt nicht geregelt.

(Klaus Ernst (DIE LINKE): Eben!)

Das Konzept, das zurzeit verhandelt wird, erhebt überhaupt nicht den Anspruch, materiell-rechtliche Vorgaben zu machen oder die Situation der Kläger zu beschreiben. Es geht einfach um das Format des Gerichtes an sich.

In der Frage, was als Verhandlungsmaterie vor solchen Gerichten überhaupt rechtsfähig wird, ist es unsere Aufgabe, das zu definieren und eben dafür Sorge zu tragen, dass die Gestaltungshoheit in den einzelnen Mitgliedstaaten und auch aufseiten der Verhandlungspartner nicht ausgehebelt wird. Das müssen wir noch weiter gestalten.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Insofern sollten wir erkennen – diese kleine Kritik muss sich die Europäische Kommission gefallen lassen -, dass wir in der Europäischen Union möglicherweise ein Demokratiedefizit in der Form vorfinden, dass die Erteilung von Verhandlungsmandaten an die Kommission zu weitgehend ist, um diese Mandate, wenn sich Änderungsbedarfe ergeben, noch zu ändern. Daher sollten wir uns aufgrund dieser Prozesse grundsätzlich fragen, ob es nicht sinnvoll ist, schon im Prozess selbst Konsultationsverfahren und auch die Einbeziehung der Parlamentarier des Europäischen Parlaments vorzusehen. Nur so kann man auch die rechtlichen bzw. die politischen Ansprüche, die sich entwickeln, konform mit dem machen, was formaljuristisch für diese Prozesse vorgesehen ist. Zurzeit darf die Kommission alles geheim halten und sich ins stille Kämmerlein zurückziehen. Wir müssen dann alles wieder mühselig hervorholen. Wir haben nun herausgearbeitet, dass es so nicht geht. Unsere Aufgabe muss sein, an der Wurzel anzusetzen und zu fordern: Für die heutigen und alle zukünftigen Verhandlungen gilt, dass der Parlamentarismus eine bessere Wertschätzung erfährt und dass er eingreifen können muss, wenn etwas schiefläuft.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Da sind wir mit dem, was auf Initiative von Sigmar Gabriel vorgeschlagen wurde, auf einem guten Weg. Ich bitte euch alle, daran anzuknüpfen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Zur Rede in der Mediathek des Deutschen Bundestages.