Nina Scheer in der aktuellen Stunde zum Thema „Haltung der Bundesregierung zu den alarmierenden Ergebnissen des Weltklimaberichts und dem Handlungsbedarf für mehr Klimaschutz“
Liebe Präsidentin! Meine sehr geehrten Kolleginnen und Kollegen! Der IPCC-Report verlangt die vollständige Dekarbonisierung in allen Sektoren bis spätestens zum Jahr 2100. Daraus folgt zuallererst für uns in Deutschland, dass wir natürlich nicht das Minderungsziel von 40 Prozent bis 2020 infrage stellen. Ich bin froh, dass das hier so deutlich klargestellt wurde. Zu den Äußerungen von Herrn Homann ist alles gesagt worden. Man sollte sie nicht mit der Bundesregierung in Verbindung bringen. Darüber hinaus ‑ das wurde auch gesagt ‑ müssen wir uns für die Schlussfolgerungen einsetzen, die der IPCC-Report nahelegt, um daraus in Paris entsprechende Handlungserfordernisse zu beschließen.
Wenn wir uns die Chronologie der Klimareporte der letzten Jahre anschauen, so erkennen wir, dass die Reporte stets eine eindeutige Aussage enthalten: Ein Nichthandeln ist auf jeden Fall viel teurer als ein Handeln, als eine engagierte Klimapolitik.
(Beifall bei der SPD)
Bereits heute können wir sehen: Die Vollkosten neuer Wind- und Solaranlagen sind auf dem gleichen Niveau wie die Vollkosten neuer Steinkohle- und Gaskraftwerke. Die emissionsarmen Technologien verursachen somit heute schon keine höheren Kosten mehr als die fossilen Energieträger, die einen großen Rucksack an externen Kosten mit sich schleppen. Insofern ist es jetzt wichtig, in den Bereichen der Erneuerbare-Energien-Technologien, der Effizienzsteigerungsmöglichkeiten und der Wärmeenergiewende endlich auf die Chancen zu blicken und, wenn wir uns diesen neuen Technologien widmen, nicht so sehr die damit einhergehenden Belastungen in den Fokus zu nehmen. Die Erneuerbare-Energien-Technologien, durch deren Anwendung wir den Ausbau in den letzten Jahren erfolgreich hinbekommen haben – darauf ist hingewiesen worden -, zeigen uns auf, welche wirtschaftlichen Chancen in ihnen stecken; wir müssen sie einfach nur besser wahrnehmen.
Die im Bericht dargestellten Herausforderungen liegen also darin, endlich die Chancen einer nachhaltigen Wirtschaftspolitik und einer nachhaltigen Wirtschaftsweise zu erkennen und uns auf eine zukunftsfeste Wirtschafts- und Industriepolitik einzuschwören. Die Energiewende ist der Schlüssel zu ebendieser Industriepolitik. Das ist eine Erkenntnis, die wir aus dem Report zu ziehen haben.
Ich möchte in diesem Zusammenhang ein Zitat von Ban Ki-moon, dem UN-Generalsekretär, anbringen. Er sagte auch in Richtung großer Investoren, dass sie mehr Geld in erneuerbare Energien als in fossile Brennstoffe stecken sollen. Damit sagt er nicht nur, dass wir die erneuerbaren Energien voranbringen sollen, sondern auch, dass wir etwas abbauen sollen, dass wir aussteigen sollen.
(Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE): Genau!)
Es geht um die Debatte über das sogenannte Devestment. Das hört sich ein bisschen rückwärtsgewandt an; es ist aber vorwärtsgewandt. Das genau ist der Anknüpfungspunkt. Ban Ki-moon weist richtigerweise darauf hin, dass es nicht nur um den Ausbau erneuerbarer Energien geht, sondern auch um einen Strukturwandel, um den Ausstieg aus veralteten Energiegewinnungsformen.
(Beifall bei der SPD sowie der Abg. Eva Bulling-Schröter (DIE LINKE) und Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))
Dieser Herausforderung müssen wir uns natürlich auch in Deutschland stellen, gerade vor dem Hintergrund der immensen Überkapazitäten am Strommarkt. Ich finde es richtig, dass unsere Umweltministerin genau dieses Themenspektrum benannt hat. Angesichts der Überkapazitäten bedarf es eines klimaschutzgerechten Abbaus, und zwar nur eines solchen. Dafür müssen wir aber einen Perspektivwechsel vornehmen. Jetzt werde ich vielleicht etwas philosophisch. Aber wenn es um einen Perspektivwechsel geht, müssen wir uns vergegenwärtigen, dass eine Belohnung von Nachhaltigkeitspolitiken in vielen Bereichen nicht angezeigt ist. Wenn wir schauen, wie Ratingagenturen aufgestellt sind, wie das Handeln nicht nur von Investoren, sondern auch von Staaten bewertet wird, dann sehen wir, dass die Bewertungen häufig nicht an Zukunftsfestigkeit und Nachhaltigkeit ausgerichtet sind. Vielleicht wäre es eine Idee, die Entlastungseffekte, die Investitionen in Zukunftstechnologien mit sich bringen, sowie die Langfristigkeit und Zukunftsfestigkeit dieser Investitionen in der Bewertung des Staatshandelns abzubilden.
(Oliver Krischer (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Alles super! Hat nur nichts mit der Politik der Bundesregierung zu tun!)
Ich sehe, ich bin schon am Ende meiner Redezeit. Insofern möchte ich an dieser Stelle nur einen letzten Aspekt nennen – das wäre eine weitere Forderung an uns selbst -: Bei internationalen Verhandlungen sollten wir im Blick behalten, dass im Hinblick auf das internationale Verständnis von Klimaschutzpolitik Korrekturbedarf besteht. Ich finde es nicht gut, dass die Atomenergie dort nach wie vor – das ist ja nicht erst seit heute so – als eine klimafreundliche Technologie angesehen wird. Das ist eine Hausaufgabe, die Deutschland hat; denn wir sind mit diesem Gedanken schon weit fortgeschritten. Wir müssen das auch international auf die Beine stellen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)