Nina Scheer zur Energieeffizienz, 5. Juni 2014

Nina Scheer zum Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN „Die Energiewende durch Energieeffizienz voranbringen – EU-Energieeffizienzrichtlinie unverzüglich umsetzen“

Drucksache 18/1619 Stenografischer Bericht 

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Es ist gut, dass uns der Antrag der Grünen „Die Energiewende durch Energieeffizienz voranbringen ‑ EU-Energieeffizienzrichtlinie unverzüglich umsetzen“ nun vorliegt, da darin Handlungsbedarfe angesprochen werden, wodurch wir alle aufgefordert werden, tätig zu werden.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der SPD, der CDU/CSU und der LINKEN)

Ich möchte voranschicken, dass die im Antrag enthaltene Unterstellung, die Regierung sei untätig bzw. auf diesem Gebiet sei noch nichts passiert, so nicht zutrifft. Wir wissen alle ‑ darauf hat auch die Kollegin Gundelach hingewiesen ‑, dass ein Regierungswechsel stattgefunden hat, dass gewisse Neuordnungen in den Ministerien stattfinden mussten und dass wir mit der EEG-Novelle derzeit ein großes Projekt zu bewältigen haben.

(Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das ist genau das Gegenteil von Klimaschutz!)

Insofern ist vielleicht erwähnenswert, dass selbst in der EEG-Novelle im Kontext der Besonderen Ausgleichsregelung ein Passus enthalten ist, der zwar nicht im Sinne der Umsetzung der Energieeffizienzrichtlinie zu werten ist ‑ so ist es in der Begründung auch nicht dargestellt ‑, der aber sehr wohl anklingen lässt, dass Energieeffizienzbemühungen ernsthaft aufgegriffen werden. In dieser Novelle ist zum ersten Mal die Einführung von vollwertigen Energie- und Umweltmanagementsystemen verbindlich verankert, so wie es der Antrag der Grünen verlangt. Wenn der Gesetzentwurf der Bundesregierung verabschiedet wird, werden solche Systeme kommen.

Man sieht daran: Das ist eine Neuauflage von Energieeffizienzpolitik, wie sie mit dem Regierungswechsel möglich wird. Ich denke, wir sollten das als ersten Schritt in diese Richtung anerkennen und die nächsten Schritte in diesem Sinne entschlossen vollziehen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Klar ist auch ‑ das sieht man auch an den von mir gerade erwähnten Punkten ‑, dass wir keine Erkenntnislücken haben. Uns allen ist klar, dass wir unsere Energieeffizienzziele nicht infrage stellen dürfen, auch wenn wir uns darüber bewusst sind, dass es in diesem Zusammenhang Umsetzungslücken gibt. Selbst wenn die Umsetzungslücken schwierig zu schließen sind, so ist trotzdem eindeutig, dass das Ganze eine Herausforderung und keine Offenbarung ist, dass wir diese Aufgabe einfach zu bewältigen haben. Ich denke, das werden wir hier nicht infrage stellen. Von meiner Seite wird das jedenfalls nicht geschehen. Damit spreche ich mit Sicherheit auch für die Bundesregierung, unsere Koalition und für meine Fraktion.

(Dr. Anton Hofreiter (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Da wäre ich mir nicht so sicher!)

Ein kurzer Überblick: Seit den 90er-Jahren ist durch Studien belegt, welche Handlungsaufforderungen an uns formuliert sind. Es gibt Studien über Studien ‑ etwa vom Wuppertal-Institut für Klima, Umwelt, Energie; neuere Studien stammen von der Agora Energiewende ‑, die nachweisen, welche Effizienzmaßnahmen wir ergreifen müssen bzw. inwieweit wir die Energieeffizienz steigern und Ressourcen schonen müssen, um unsere Klimaschutzziele zu erreichen.

Insofern gibt es kein Erkenntnisdefizit.

(Dr. Julia Verlinden (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Aber ein Handlungsdefizit!)

‑ Es ist ein Handlungsdefizit; das habe ich eingestanden. ‑ Ich denke schon, dass es wichtig ist, sich deutlich zu machen, was für Schritte man nun zu gehen hat. Zwar ist schnell von einem Handlungsdefizit gesprochen; damit ist aber noch keine Zielerreichung in Sicht, und man hat damit noch keine Umsetzungsschritte definiert.

Wichtig ist also, dass wir uns noch einmal vergegenwärtigen, was die Chancen von Energieeffizienzmaßnahmen sind. Häufig wird darüber folgendermaßen diskutiert: Verzicht tut weh, Verzicht ist nichts Schönes. Dass Energieeinsparmaßnahmen natürlich einen Benefit für die Gesellschaft bedeuten, dass Energieeinsparmaßnahmen in den Wertschöpfungskreisläufen und mit Blick auf die Ressourcenschonung langfristig ein Benefit sind, muss uns noch stärker bewusst werden. Ein typisches Phänomen von Langfristpolitiken, wie ich sie gerne nenne, ist, dass sie, anders als kurzfristige Maßnahmen, erst langfristig effektiv sind; erst die langfristig erzielten Benefite verschaffen uns Erfolge.

Grundsätzlich sind die damit verbundenen politischen Herausforderungen nicht so einfach zu bewältigen, weil die Umsetzung der Maßnahmen kurzfristig manchmal unbequem ist. Sich unbequeme Maßnahmen vorzunehmen, ist in der Vergangenheit unzulänglich geschehen. Aber ich denke, wir haben mit den Beispielen, die genannt wurden, die ersten Schritte dargelegt, woraus man erkennen kann, dass das ernsthaft aufgegriffen wird.

Klar ist auch, dass mit Energieeffizienzmaßnahmen eine soziale Aufgabe wahrgenommen wird. Sie vermindern das Risiko von Energiearmut. Es ist natürlich auch klar, dass der Weg hin zu einem vollständigen Umstieg auf erneuerbare Energien damit verkürzt wird.

Wir sollten dabei in den Mittelpunkt stellen, dass die Umsetzungsdiskrepanz – davon sprechen wir ja – Beschleunigung in der politischen Umsetzung verlangt. Sonst bräuchten wir nicht von einer Diskrepanz zu sprechen; sonst käme die Umsetzung ja von allein. Die Diskrepanz fordert also Beschleunigung. Das heißt, dass die Politik gefordert ist, wie es auch die Umsetzung der Energieeffizienzrichtlinie verlangt. Der Staat ist gefordert. Das müssen wir als Chance begreifen, als Chance, die Langfristziele zu erreichen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Wenn der Staat eine aktiv gestaltende Rolle einnehmen möchte, darf er nicht einfach nur auf freiwillige Vereinbarungen, auf Selbstverpflichtungen der Industrie setzen – das hat in der Vergangenheit nicht gereicht -, sondern er muss verlässliche Rahmenbedingungen schaffen, die Effizienzinvestitionen ermöglichen. Effizienzinvestitionen sind meist sehr kostenintensiv und amortisieren sich erst nach längerer Zeit.

Insofern müssen wir uns auch ehrlich die Frage stellen: Welche Schritte sind wir bereit zu tun? Ist das nur über das Ordnungsrecht zu machen, oder sind es eher monetäre Anreize, die wir geben müssen? Bei den monetären Anreizen ist die Frage: Regulieren wir Mengen oder Preise? Es ist weiterhin in der Koalition und natürlich auch in der Bundesregierung im ersten Schritt die Frage zu diskutieren, ob die monetären Anreize ausschließlich aus Haushaltsmitteln oder auch aus haushaltsunabhängigen Mitteln gegeben werden können.

Zur Erschließung zusätzlicher Finanzierungsquellen möchte ich erwähnen, dass die OECD kürzlich auf eine Schwäche in unserem Steuersystem hingewiesen hat. Ich finde, das sollten wir ernst nehmen. Die OECD hat angemahnt, dass in Deutschland ein ausgewogenes, sozial inklusives und umweltfreundliches langfristiges Wachstum die Zielvorgabe sein sollte. Das sehe ich auch als Aufforderung an uns im Parlament, für eine sozialökologische Transformation im Steuersystem zu sorgen.

Hervorzuheben ist hierbei auch, dass von der OECD Steuervergünstigungen für umweltschädliche Aktivitäten negativ vermerkt wurden. In diesem Zusammenhang finde ich es gut, dass Bundesminister Sigmar Gabriel das schon aufgegriffen hat und die umweltschädlichen Dienstwagenvergünstigungen unter die Lupe nehmen möchte.

(Beifall bei der SPD)

Zum Schluss noch ganz kurz: Eine sehr große Herausforderung ‑ das ist ein alter Hut; aber die Frage, wie wir damit umgehen, ist nach wie vor ungelöst ‑ ist der Rebound-Effekt. Wir alle wissen: Nach Energieeinsparerfolgen kommt es meist zu einem gesteigerten Verbrauch. Ganz klar muss sein, dass es hier eine Ausgewogenheit geben muss zwischen Energiepreisen und Energieeffizienzgewinnen. Die Effekte der beiden Komponenten müssen sich die Waage halten, müssen sich ausgleichen, sodass sich als Endwirkung von Energieeinsparmaßnahmen und ‑effizienzmaßnahmen tatsächlich ein Erfolg erzielen lässt.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vielleicht noch ein letzter Schlusssatz, wenn mir das erlaubt ist. – Ich möchte noch eine Brücke zu den drei E der Energiewende schlagen. Energieeffizienz und Energieeinsparung, das ist im Kontext der Energiewende zu sehen. Die Energiewende gibt uns eine Chance. Das haben wir auch in der Regierungserklärung von Angela Merkel gestern gehört, in der auf den Erfolg beim Ausbau der erneuerbaren Energien im Stromsektor – 25 Prozent – hingewiesen wurde. Hier geht es darum, dass sich eine daran aktiv beteiligte Bevölkerung dessen bewusst wird. Nur eine aktiv beteiligte Bevölkerung hat die Möglichkeit, Know-how zu sammeln und die Initiativen und die Motivation zu entwickeln, um auch im Energieeffizienzbereich die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.

Auf dieser Grundlage bitte ich uns alle, uns diesem wichtigen Thema erneut zu widmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Zur Rede in der Mediathek des Deutschen Bundestages.