Stellungnahme zum Freihandelsabkommen, TTIP

Über die letzten Jahrzehnte hat es verschiedentliche Vereinbarungen zwischen Staaten gegeben, den transnationalen Handel durch den Abbau von Handelshemmnissen (Zölle und andere den Handel betreffende, nichttarifäre Rahmenbedingungen) zu erleichtern. Die hiermit angestrebten Wachstumssteigerungen werden verbreitet mit Wohlfahrtsgewinnen gleichgesetzt. Zölle und Handelshemmnisse, mit deren Abbau Gewinnsteigerungen verbunden sind und den Handel von sowohl Waren als auch Dienstleistungen erleichtern, sind nun auch Anknüpfungspunkt für Verhandlungen zum Abschluss des transatlantischen Freihandelsabkommens TTIP zwischen der EU und den USA. Bestandteil des Abkommens soll auch ein Investitionsschutz für Unternehmen sein. Danach können Schiedsgerichte bzw. -gremien als nicht ordentliche Gerichte über Schadensersatzansprüche befinden, die Unternehmen zu gewähren sind, wenn sie durch staatliche Maßnahmen enteignende oder enteignungsgleiche Eingriffe erfahren.

Der Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD vermittelt eine grundsätzliche Zustimmung für ein Zustandekommen des Abkommens, nennt aber auch Voraussetzungen.

Ausdrücklich heißt es hier, (S. 168):

„Das geplante Freihandelsabkommen mit den USA ist eines der zentralen Projekte zur Vertiefung der transatlantischen Beziehungen. Wir wollen, dass die Verhandlungen erfolgreich zum Abschluss geführt werden, ohne im Vertrag parlamentarische Kontrolle und gerichtlichen Schutz in Frage zu stellen. Unser Ziel ist dabei, bestehende Hindernisse in den transatlantischen Handels- und Investitionsbeziehungen so umfassend wie möglich abzubauen. Die Zulassung begründeter Ausnahmen muss für jede Vertragspartei Teil des Abkommens sein. Wir werden auf die Sicherung der Schutzstandards der Europäischen Union insbesondere im Bereich des Datenschutzes, der europäischen Sozial-, Umwelt- und Lebensmittelstandards sowie auf den Schutz von Verbraucherrechten und öffentlicher Daseinsvorsorge sowie von Kultur und Medien Wert legen.“

Und an anderen Stellen,

(S. 15):
Genauso wie den Erfolg der Verhandlungen der Europäischen Union über ein Freihandelsabkommen mit den USA (TTIP) streben wir auch den zügigen Abschluss weiterer Handelsabkommen mit dynamisch wachsenden Schwellenländern an. Unser Ziel ist eine Vertiefung der Wirtschafts- und Handelsbeziehungen. Dabei setzen wir auf multilaterale Handelsregeln. Bei EU-Handelsabkommen soll die Einhaltung der Kernarbeitsnormen der internationalen Arbeitsorganisation (ILO)-berücksichtigt werden, damit der Freihandel nicht zum Einfallstor für Lohn- und Sozialdumping wird.

(S. 125):
4. Zusammenhalt der Gesellschaft
Europäisches und internationales Verbraucherrecht
Bei einem Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA müssen die hohen europäischen Standards u. a. im Verbraucher- und Datenschutz weiter Geltung behalten.

(S. 162):
6. Starkes Europa
Wettbewerbsfähigkeit und Beschäftigung
Bei der Koordinierung unserer Wirtschaftspolitik im europäischen Rahmen behalten wir auch die globale Dimension fest im Blick. So werden wir beispielsweise den Abschluss eines Freihandelsabkommen mit den USA vorantreiben. Wir werden die Herausforderung der zunehmenden globalen Konkurrenz zwischen Unternehmen und Standorten meistern, indem wir uns an den bewährten Grundlinien unserer Sozialen Marktwirtschaft orientieren und der Sicherung der internationalen Wettbewerbsfähigkeit unserer deutschen und europäischen Wirtschaft hohe Priorität einräumen.

In einer sich rasch verändernden Welt kann nur ein starkes Europa weiterhin seinen Einfluss behalten. Auch dafür brauchen wir nachhaltiges Wirtschaften und hohe ökonomische und soziale Stabilität.

Dem besonderen Schutzbedürfnis von Kultur und Medien wird in der deutschen Europapolitik Rechnung getragen, insbesondere in der europäischen Rechtsetzung, bei EU-Beihilfefragen oder bei Freihandelsabkommen mit Drittstaaten. Dies muss auch bei den Verhandlungen über ein Freihandel-sabkommen zwischen der EU und den USA durch Ausnahmeregelungen berücksichtigt und gesichert werden.“

Sowohl im federführenden Wirtschafts- und Energieausschuss als auch in den Bundestagsfraktionen hat in den letzten Wochen eine Auseinandersetzung mit dem Verhandlungsmandat und den Zielen sowie möglichen Effekten und Folgen des Abkommens begonnen.

Auch wenn in öffentlichen Stellungnahmen bundespolitischer Vertreter häufig die in einem Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA gesehenen Chancen betont werden, wie sie auch der Koalitionsvertrag intendiert, wird dennoch zunehmend klar, dass das Abkommen nicht „um jeden Preis“ zustande kommen kann oder jedenfalls von Deutschland aus nicht bedingungslos mitgetragen wird.

So hat sich – auch in Bezugnahme auf die sich zunehmend verstärkende öffentliche Diskussion über TTIP – eine kritische Haltung insbesondere bezüglich mangelnder Transparenz und dem Bereich des Investitionsschutzes herausgebildet. Auch die ILO-Kernarbeitsnormen werden häufig als Bedingung für einen Verhandlungsabschluss genannt.

In einer jüngsten schriftlichen Stellungnahme spricht sich Sigmar Gabriel für den Erhalt der hohen Qualität der öffentlichen Daseinsvorsorge aus, dem vorrangigen Ziel einer nachhaltigen Entwicklung und für eine Förderung eines hohen Umwelt- Arbeits- und Verbraucherschutzniveaus im Einklang mit dem Besitzstand der EU und den Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten. Darin versichert Gabriel u.a.:

„Wenn unterschiedliche Schutzniveaus existieren, können diese durch das Abkommen nicht nivelliert werden“. Ferner sei das Recht der Mitbestimmung, der Betriebsverfassung und der Tarifautonomie kein nicht-tarifäres Handelshemmnis und daher auch nicht Gegenstand der TTIP-Verhandlungen.

In einem Schreiben an Kommissar De Gucht vom 26. März 2014 übermittelt Wirtschaftsminister Gabriel die Haltung der Bundesregierung, „dass spezielle Investitionsschutz-vorschriften in einem Abkommen zwischen der EU und den USA nicht erforderlich sind“ und „dass die USA und Deutschland hinreichenden Rechtsschutz vor nationalen Gerichten gewährleisten“.

Nach meiner Einschätzung kann die Frage, ob für die Verhandlungen die angesichts der Tragweite des Abkommens erforderliche und von vielen gesellschaftlichen Gruppen geforderte Transparenz geschaffen wird, heute noch nicht beantwortet werden. Bislang gab es keine auf regulärem Weg öffentlich einzusehenden Dokumente. Von US-amerikanischer Seite ist bislang keine Offenlegung zu erwarten. Allein diesen Umstand halte ich für untragbar. Er sollte ein Ausschlussgrund für weitere Verhandlungen sein.

Zudem ist noch unbeantwortet, ob das Abkommen von den Mitgliedstaaten zu ratifizieren sein wird. Nur wenn es sich um ein sog. „gemischtes Abkommen“ handelt, worüber der Europäische Gerichtshof entscheiden wird und in dem Abkommen Bereiche enthalten sind, die eine Ratifizierung erfordern, wird dies der Fall sein. Andernfalls bestünde von Deutscher Seite (lediglich) über den Ministerrat eine Einwirkungsmöglichkeit bzw. ein Vetorecht und nicht in Form einer parlamentarischen Abstimmung. Das Verhandlungsmandat selbst liegt allerdings bei der EU-Kommission.

Es ist bislang nicht abzuschätzen, inwieweit trotz entsprechender Zusicherungen Umwelt-, Gesundheits- und Sozialstandards gewahrt werden könnten. Denn dies hängt auch von der Definition von Standards ab. Eine Schwierigkeit liegt bereits in EU-weit unterschiedlichen Standards. Darüber hinaus ist nicht geklärt, wie mit zukünftigen Regelungsbedarfen umgegangen wird: Besteht zum Zeitpunkt des Abschlusses für einen Bereich noch kein Schutzbedürfnis, ändert sich dies aber, könnte das Abkommen etwaigen mitgliedstaats- oder länderspezifisch einzuführenden Rahmenbedingungen entgegen stehen. Damit gingen demokratische Gestaltungsräume verloren.

In Reaktion auf die öffentliche Kritik insbesondere am Investitionsschutz wurde am 27. März 2014 ein öffentliches Konsultationsverfahren über die Inhalte des Investitionskapitels eingeleitet. Während der folgenden drei Monate, während derer die Verhandlungen nicht weitergeführt werden, wird allen Interessensgruppen die Möglichkeit gegeben, das betreffende Verhandlungsmandat zu kommentieren. Gegen ein Investitionsschutzabkommen spricht die Intransparenz von Schiedsgremien, dass es zu einer Aushebelung bestehenden Rechtsschutzes führen kann sowie die  durch Investitionsschutz vermittelte Gefahr einer indirekten Einwirkung auf die Rechtssetzungsebenen.

Ein grundsätzlicher Konfliktpunkt im Zusammenhang mit dem Freihandelsabkommen ist der Umstand, dass in der EU – anders als im US-amerikanischen Rechtssystem – das Vorsorgeprinzip gilt, das es zu erhalten und damit auch zu erfüllen gilt. Damit verknüpft ist die Entstehung von Standards, die auf der Grundlage von Risikoabschätzung erfolgen und nicht in Orientierung an Schadenskompensation.

Teilweise werden in Bezugnahme auf Studien (Bertelsmann Stiftung) Prognosen genannt, anhand derer die mit dem Abkommen verbundenen Chancen dargelegt werden. Meines Erachtens können entsprechende Berechnungen nicht seriös zur Bewertung des Verhandlungsgegenstandes herangezogen werden. Zum einen dürften zu viele in einer nicht vorherbestimmbaren Entwicklung liegenden Umstände für eine reelle Betrachtung maßgeblich sein. Zum anderen können all jene Auswirkungen, die sich etwa hinter unterschiedlichen Standards verbergen, nur unzureichend ökonomisiert werden – zumal zu einem Zeitpunkt, für den die Verhandlungsergebnisse nicht feststehen. Zudem sollte hinterfragt werden, ob gesellschaftlich, kulturell bedingt gewachsene Wertvorstellungen aus den USA einerseits und der EU andererseits, wie sie in Rahmenbedingungen und Standards Ausdruck finden, grundlegend zu vereinheitlichen sind.

Weiter fortgeschritten als die Verhandlungen zu TTIP sind die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit Canada, CETA. Sowohl das CETA als auch das TTIP betreffend sollte verstärkt darauf hingewirkt werden, die in der EU und den Mitgliedstaaten existierenden Werte und Rahmenbedingungen zum Maßstab zu machen. Ein Freihandelsabkommen darf nicht zu einem neuen Umwelt-, Gesundheits-, und Arbeitsschutz auf Abkommensebene unter Ausschluss demokratischer Mitbestimmung führen. In diesem Sinne werde ich mich in die anstehenden Verhandlungen im Rahmen meiner Möglichkeiten als Bundestagsabgeordnete einbringen.