Erläuterungen zum Energiekapitel des Koalitionsvertrages: ‚Energiewende zum Erfolg führen‘

 

Das Energiewende-Kapitel des Koalitionsvertrages ‚Energiewende zum Erfolg führen’ benennt ‚ sichere, saubere und bezahlbare‘ Energie zur Richtschnur der Energiepolitik. Es bleiben bewährte Grundpfeiler für den Ausbau Erneuerbarer Energien erhalten: Der Vorrang für Erneuerbare Energien, Erhalt von Investitionssicherheiten für Erneuerbare Energien und eine technologiespezifische Förderung Erneuerbarer Energien.

Die Koalitionsverhandlungen waren allerdings geprägt von unterschiedlichen Vorstellungen über die Ausbaugeschwindigkeit Erneuerbarer Energien (EE), die Frage der Auswirkungen von Mengensteuerungsmechanismen und den Systemumbau in der Stromversorgung. Der nun für den Strombereich formulierte Ausbaukorridor (vgl. i.E. unten) bremst den Ausbau gemessen an der bisherigen Ausbaugeschwindigkeit. Dies ist weder vor dem Hintergrund der fossilen Ressourcenverknappung, hiermit einhergehenden Preissteigerungen noch verschiedentlich gegebenen Klimaschutzzielen vermittelbar.

 

Ausbau Erneuerbarer Energien

Während die Union unter der Vorgabe von ‚Planbarkeit’ und Kostenbegrenzungen restriktive Ausbauziele, Mengensteuerungen und Obergrenzen verfolgte, erklärte die SPD entsprechende Restriktionen für nicht zielführend. Ausbaubremsen rufen Verunsicherung auf Akteurs- und Investorenseite hervor, zu welchem Zeitpunkt welche Investition in welchen Förderrahmen fallen. Zudem können mit Ausbaubremsen weder Kostenbegrenzungen noch eine nachhaltige Preisstabilisierung erreicht werden.

Gesetzlich festgesetzter Ausbaukorridor

Mit dem im Strombereich nun nach dem Koalitionsvertrag gesetzlich festzulegenden Ausbaukorridor von 40 bis 45 Prozent bis zum Jahre 2025 und 55 bis 60 Prozent bis zum Jahre 2035 wurde auf eine explizite Mengensteuerung des Ausbaus verzichtet. Stattdessen wird es ein jährliches Monitoring geben, das die Grundlage für ein eventuelles Nachsteuern bildet. Auch wenn die vereinbarten Ausbau-Korridore für 2025 und 2035 restriktiv sind, kann sich der Ausbau Erneuerbarer Energien in dieser Legislaturperiode (2013-2017) unter Berücksichtigung weiterer, übergeordneter Zielvorgaben ohne Obergrenzen vollziehen:

Im Rahmen der Europäischen EE-Richtlinie hat sich Deutschland auf einen EE-Anteil am Endenergieverbrauch von mindestens 18 % bis zum Jahre 2020 verpflichtet – dies ist auch in § 1 Abs. 3 EEG gesetzlich verankert. Danach bleibt für den sektorübergreifenden Ausbau regenerativer Energien (für die Bereiche Strom, Wärme und Mobilität) die Ausbaugeschwindigkeit bis zum Jahre 2020 konstant. Der Koalitionsvertrag enthält keine hiervon abweichende Zielvorgabe.

Erhalt der Grundpfeiler des EE-Ausbaus trotz verpflichtender Direktvermarktung

Der Koalitionsvertrag verfolgt die Einführung der verpflichtenden Direktvermarktung auf Basis der gleitenden Marktprämie. Entgegen hierzu vermittelter Erklärungen wird mit der Vereinbarung für sich genommen keinerlei Markt- und Systemintegration Erneuerbarer Energien geschaffen; es entstehen allerdings Mehrkosten für die Stromverbraucher (437 Mio. EUR im Jahre 2012; ca. 400 Mio. EUR im Jahre 2013). Diese Erkenntnis wurde nur teilweise berücksichtigt: statt der geforderten sofortigen verpflichtenden Direktvermarkung für alle Neuanlagen wird jene nun in einem mehrstufigen Prozess bis zum Jahr 2017 eingeführt.

Die verpflichtende Direktvermarktung auf Basis einer gleitenden Marktprämie erfordert EEG-Vergütungssätze im Hintergrund – als eine Art „Fall-back-Option“. Denn nur so ist die ex-post zu bestimmende, technologiespezifische Marktprämie zu ermitteln und nur so werden unnötige Risikoaufschläge bei der Finanzierung von Investments vermieden. Hierbei bleiben aber auch die Grundpfeiler des EEGs erhalten: der Einspeisevorrang, eine technologiespezifische Förderung und Investitionssicherheit.

Ein wichtiges Anliegen der SPD war es hierbei, dass die durch das EEG geschaffene Akteursstruktur auch im Rahmen der verpflichtenden Direktvermarktung erhalten bleibt – denn die Energiewende wird in Deutschland insbesondere durch lokale Akteure, Bürgerinnen und Bürger, Genossenschaften und Stadtwerke getragen.

 

Energiewende dezentral, kosteneffizient und als Systemumbau gestalten

Hintergrund:

Die Energiewende bedarf Investitionen in neue Technologien und Systeme, deren Entwicklung auch mit Investitionen verbunden ist. Diese verleiten vor dem Hintergrund steigender Energiepreise zunehmend dazu, die Bezahlbarkeit der Energiewende zu hinterfragen. Anknüpfungspunkt ist hierfür verbreitet die steigende EEG-Umlage, die auf jeder Stromrechnung ausgewiesen ist.

Die Höhe der EEG-Umlage ist aber allein kein geeigneter Indikator für die Kosten der Energiewende. Änderungen an den EEG-Vergütungssätzen können – auch aufgrund der gegebenen Preisbildungsmechanismen auf den Großhandelsmärkten – nur sehr begrenzt zur Kostenreduktion beitragen. Solange mit sinkenden Börsenstrompreisen und einer hierdurch wachsenden Differenz zur Einspeisevergütung die EEG-Umlage steigt, ist theoretisch auch ohne weiteren Ausbau Erneuerbarer Energien, auf Grundlage der über die letzten Jahre in die EEG-Vergütung gekommenen Anlagen, eine EEG-Umlageerhöhung nicht auszuschließen. Richtigerweise erhalten solche Anlagen hinsichtlich der gesetzlich garantierten Vergütung Bestandsschutz.

In einer Gesamtkostenbetrachtung des heutigen Energiesystems werden zumeist die externen Kosten unserer jetzigen, nicht-nachhaltigen Energieversorgung mit Blick auf die unermesslichen Umwelt- und Gesundheitsfolgeschäden, die aus fossil-atomarer Energiegewinnung resultieren, vergessen. So gerät leicht aus dem Blick, dass regenerative Energieversorgung billiger als Kohle- und Atomenergiegewinnung ist. Eine Einpreisung externer Effekte könnte eine entsprechende Kostentransparenz schaffen.

Darüber hinaus könnte ein Ansatz zur Kostenreduktion darin liegen, Vergütungen für Bestandsanlagen über einen Fonds zu finanzieren. Die Finanzierung solcher Anlagen, die vornehmlich der Technologieentwicklung und Markteinführung dienten, obläge dann nicht länger dem Stromkunden, sondern der Allgemeinheit, möglicherweise unter Einbeziehung der Anlagenbetreiber für die Zeit nach Abschreibung der Anlagen bzw. nach Auslaufen der EEG-Vergütung. Die EEG-Umlage könnte dabei um ca. zwei Cent je kWh reduziert werden.

Überförderungen abbauen

Aber auch beim weiteren Ausbau der Erneuerbaren Energien und anstehenden Reformen kann und sollte Kosteneffizienz berücksichtigt werden, um vermeidbare Kostensteigerungsfaktoren zu vermeiden. Insofern sieht der Koalitionsvertrag richtigerweise vor, im Rahmen einer Novelle des EEGs vorhandene Überförderungen abzubauen.

Dezentralität erhalten – Referenzertragsmodell bei Wind Onshore sinnvoll weiterentwickeln

Der im Koalitionsvertrag vorgesehene Referenzwert für gute Wind-Standorte (in Höhe von 75 – 80%) kann bei entsprechender Ausgestaltung des Koalitionsvertrages zu einer sehr starken Einengung der Potentiale für Wind Onshore führen, ohne hierbei spürbare Kosteneinsparungen zu erreichen. Ein solcher Effekt wäre mit Blick auf die Zielvorgabe des Vertrages: ‚Energiewende zum Erfolg führen’ verfehlt.

Eine Schwächung des Ausbaus in der Fläche bzw. an Land im Windenergiebereich zugunsten der Förderung des Ausbaus auf hoher See verlagert zudem die Akteursebene: Von den Menschen vor Ort zur Großindustrie. Dies geht zulasten von Technologie- und Akteursvielfalt, auf die ein kosteneffizienter Energiemix der Zukunft aber angewiesen ist. Ein wichtiger Motor und Erfolgsfaktor der bisherigen Energiewende, der auch entscheidend zu ihrer Akzeptanz beiträgt, ist der dezentrale Ausbau Erneuerbarer Energien durch engagierte Bürgerinnen und Bürger, Genossenschaften und Stadtwerke. Deshalb sollte z.B. auch der Ausbau von Wind Onshore weiterhin bundesweit möglich bleiben und weiterhin die Erschließung von Standorten auch unterhalb des genannten Referenzwertes möglich bleiben.

Systemumbau gestalten

Über die Beteiligung der Erzeugungsanlagen an den Netzausbaukosten (über eine sog. „G-Komponente“ [Generator-Komponente]) kann der dezentrale EE-Ausbau vorangebracht werden. Hiermit kann bei den zukünftigen Stromerzeugern (konventionell und EE) ein stärkeres Systemdenken geschaffen werden.

Der Koalitionsvertrag enthält hierzu nur eine sehr allgemeine Formulierung. Mit einer entsprechenden Umsetzung kann aber die Voraussetzung für ein stärkeres Systemdenken bei den zukünftigen Stromerzeugern (konventionell und EE) geschaffen werden. Die G-Komponente ist dabei so auszugestalten, dass sie lastnahe und netzschonende Erzeugung (hohe Ausnutzung) belohnt. Dann gibt die Beteiligung an der Finanzierung der notwendigen Netzkapazitäten einen Anreiz, den optimalen Standort für die Erzeugungsanlagen zu finden (Minimierung Netzausbaubedarf, geringere Netzausbaukosten). Damit können die Gesamtsystemkosten gesenkt und ein Systemwandel angereizt werden, in Anpassung an einen wachsenden Anteil regenerativer Energien.

 

Kapazitätssicherung

Unbestritten ist, dass Erneuerbare Energien in naher Zukunft noch nicht jederzeit die Nachfrage decken können. Daher werden ergänzende konventionelle Kraftwerke nach wie vor benötigt. Die Versorgungssicherheit erfordert, den wirtschaftlichen Betrieb zur Vorhaltung entsprechender Kapazitäten zu gewährleisten. Ziel muss dabei die Reform des Strommarktdesigns sein: Neue Regeln für einen Energiemarkt müssen auf eine Vollversorgung durch Erneuerbare Energien zugeschnitten sein.

Der Koalitionsvertrag spricht sich für ‚verschiedene Mechanismen’ zur ausreichenden Deckung der Residuallast aus, mit denen ‚die jeweils erforderlichen Kapazitäten langfristig am Markt gehalten werden können’. Über einen Kapazitätsmechanismus sollen effiziente und flexible konventionelle Kraftwerke so lange wie erforderlich regenerative Energien ergänzen.

Damit wird im Koalitionsvertrag keine Aussage darüber getroffen, ob ein vollumfänglicher (zentraler oder dezentraler) Kapazitätsmarkt geschaffen werden soll oder ob die jetzt schon bestehende Netzreserve in eine sog. strategische Reserve zu überführen sein wird, wie sie seit vielen Jahren z.B. in Schweden existiert.

 

Flexibilisierung des Energiesystems

Um die Systemintegration fluktuierender Erneuerbarer Energien wie Wind und Solar kostengünstig zu erreichen, widmet sich der Koalitionsvertrag richtigerweise der Erschließung von sog. Flexibilitätsoptionen auf der Angebots- wie auch der Nachfrageseite. Dazu zählen auch die Flexibilisierung der bestehenden Erzeugungsanlagen sowie die Ausschöpfung von Lastmanagementpotentialen und die Einbeziehung von intelligenten Zählern sowie Speichern. Zusätzlich gilt es die Flexibilitätsoptionen des Wärmesektors mit Hilfe der Nutzung von Power-to-Heat (PtH) zu erschließen. Zusammen mit dem weiteren Ausbau der Kraft-Wärme-Kopplung (KWK) auf 25 % im Jahr 2020 und der gleichzeitigen Flexibilisierung (PtH), können die wärmebedingten Must-Run-Kapazitäten im Energiesystem reduziert werden. Damit wird auch Platz für Erneuerbare Energien im Stromnetz geschaffen und es werden unnötige Abregelungen von EE-Anlagen reduziert bzw. vermieden.

 

Ausblick

Darüber hinaus sollten weitere Schritte zur Umgestaltung unserer Energieversorgung und Preisbildungssysteme gegangen werden, die dem über die fossile Ressourcenverknappung und auch klimawandelbedingt vorgegebenen Ziel einer zukünftigen Vollversorgung durch Erneuerbare Energien unter Ablösung der fossil-atomaren Energiegewinnung gerecht werden.